NAPALM DEATH

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Enemies of music scenes

Als 1987 via Earache Records ihr Debütalbum "Scum" erschien, da galten NAPALM DEATH für nicht wenige Menschen als das Härteste, Brutalste und vor allem Schnellste, was man sich in Sachen Hardcore oder Metal vorstellen konnte. Knapp zwanzig Jahre später mag es zwar Bands geben, die noch schneller spielen, noch härter und brutaler sind (was sich meistens als laues Lüftchen entpuppt, wenn man mal hinter die mit viel Technik entstandene Soundwand hört), die Energie aber, die NAPALM DEATH sowohl auf ihren Platten als auch live freisetzen, die erreichen nur die wenigsten. Von ihrem Doppelschlag in Form der beiden Alben "The Code Is Red ... Long Live The Code" (2005) und "Smear Campaign" (2006) habe ich mich immer noch nicht erholt. Und ihr Konzert im September 2006 im Kölner Underground war, was spürbare musikalische Brutalität betrifft, eine Offenbarung (und erinnerte mich an die nicht minder großartigen Konzerte der Engländer Anfang der Neunziger, von denen eines mir beinahe einen gebrochenen Schädel einbrachte). Vor dem Auftritt unterhielten Joachim und ich uns mit dem etwas heiseren, aber dennoch sehr gesprächigen Sänger Mark "Barney" Greenway; weniger über das neue Album als über ein paar grundsätzliche Themen.



Matt Fox von SHAI HULUD bezeichnete euch in dem Interview, das er dem Ox gab, als eine "Metalband, die mehr zu sagen hat als die meisten Hardcore-Bands". Ist das nicht eigenartig, heutzutage als Metalband zu gelten, während NAPALM DEATH in den frühen Achtzigern ganz eindeutig als Hardcore definiert wurden?


Es ist eine Definitionssache und Definitionen gibt es Tausende. Was unsere Arbeitsweise und unsere Einstellung betrifft, bezeichnen uns viele auch heute noch als Punk- oder Hardcore-Band, was NAPALM DEATH damals mit CRASS als größten Einfluss auf die Band auch definitiv waren. Auch DISCHARGE und die SWANS, die bekanntlich keine Metalbands sind, waren für uns immens wichtig. Wenn du also die Geschichte dieser Band kennst, weißt du, dass NAPALM DEATH trotz aller offensichtlich vorhandenen Metal-Elemente, die von Bands wie CELTIC FROST oder DEATH kamen, vor allem eine Punkband waren. Insofern ist es sehr engstirnig, NAPALM DEATH als bloße Metalband zu bezeichnen. Aber eigentlich ist das nicht wichtig und mich interessiert das mittlerweile gar nicht mehr, auch wenn ich weiß, dass Fans und Presse diverse Kategorisierungen brauchen. Ich ziehe es vor, einfach nur ich selbst zu sein und mich keiner Einschränkung zu unterwerfen.



Damals war die Trennung zwischen Metal und Hardcore ja deutlicher als heute. Steven Blush nannte in seinem Film und dem diesen zugrunde liegenden Buch "American Hardcore" das Jahr 1986 als den Zeitpunkt, an dem der Hardcore in seiner ursprünglichen Definition aufhörte zu existieren und er sich Einflüssen anderer Genres, wie eben auch dem Metal, öffnete.


Eine Zeitlang existierte diese Trennung, ja, aber das hat sich schnell geändert. Ich habe den Film noch nicht gesehen und kann diesen Denkansatz nachvollziehen, aber ich tue mich schwer damit, Leute in bestimmte Schubladen zu stecken. Heutzutage ganz besonders, aber schon damals fand ich es dumm. Ich kenne viele Leute, die man wohl als "Metal" definiert hätte, die sich damals auch MINOR THREAT angesehen haben. Diese Einteilung in "Metal"-und "Hardcore"-Fan hat was furchtbar Elitäres an sich. Einer fühlt sich dem anderen gegenüber überlegen. Musik-Szenen sind eine schöne Sache, was die Netzwerke und den Support der Leute angeht, aber das bekommt, wie gesagt, schnell was Elitäres und sehr Ekelhaftes. Szeneregeln entstehen, die dir vorschreiben, wie du zu sein hast oder warum du nicht dazu gehörst. Außerdem treffen diese Stereotype eh nie zu. Ich hatte lange Haare, pinke Haare, einen Iro, eine Glatze und seht mich jetzt an. Vielleicht laufe ich auch mal wieder so rum wie früher, aber nur weil ich es will, und nicht weil irgendwer es vorschreibt. NAPALM DEATH wollten diese Szene-Einschränkungen schon immer überwinden.

Den größten Teil der Neunziger sind NAPALM DEATH aber in einem Metal-Kontext wahrgenommen worden, während ihr seit ein paar Jahren so eine Art Comeback im Hardcore zu erleben scheint.

Ich denke nicht, dass das so einfach ist. Wir sind nicht mittels eines Masterplans zum Hardcore "zurück", wir haben uns immer als einen Teil der Szene gesehen. Da ist nichts bewusst passiert, wir wollten zu jedem Zeitpunkt immer nur das bestmögliche Album überhaupt aufnehmen. Und unsere Perspektive, vor allem meine als hauptsächlichem Schreiber der Texte, ist nie von einer links gerichteten, freidenkerischen Sicht, wenn man es denn so nennen will, abgewichen.



Ihr seid dann ja zu Century Media Records gewechselt.

Wir haben sehr viele schlechte Erfahrungen mit unseren alten Labels gemacht und irgendwann sogar geplant, das Ganze in Zukunft selbst zu machen, was aber nie geklappt hätte. Dafür sind NAPALM DEATH einfach zu groß. Century Media haben uns zwar weniger Geld geboten als andere Label, dafür waren sie aber wirklich interessiert daran, mit NAPALM DEATH zu arbeiten. Das war in der Vergangenheit leider nicht so, da gab es Zeiten, wo das Label gar kein Interesse mehr an uns oder den Plattenverkäufen hatte und uns auch nicht mehr richtig unterstützen wollte. In den späten Neunzigern sind teilweise nur noch 45 Leute zu Konzerten aufgetaucht, selbst in Deutschland, einem der besten Orte für Hardcore und Metal überhaupt. Manche Booker wollten uns nicht mal mehr buchen, es war richtig beschissen. Wäre das so weiter gegangen, gäbe es NAPALM DEATH heute nicht mehr. Aber wir wollten die Band nicht sterben lassen, NAPALM DEATH sind uns zu wichtig, um aufzugeben. Es gibt einfach zu viel Scheiße, generell als auch in der Musikszene, die wir noch aufzeigen wollen, als dass wir einfach so abtreten könnten.



Und jetzt tourt ihr meistens mit Metalcore-Bands, im Gegensatz zu den frühen Neunzigern, als ihr hauptsächlich mit Death Metal-Bands unterwegs wart. Wie erklärst du dir das?

Das ist im Grunde ganz einfach: Es gibt momentan sehr viele angesagte Metalcore-Bands, wogegen es in den frühen Neunzigern sehr viele Death Metal-Bands gab. M.A.D., die unsere Touren buchen, sind natürlich daran interessiert, viele Bands unterwegs zu haben und sich durch attraktive Kombinationen von den vielen anderen Touren abzusetzen. Ich hätte kein Problem damit, wieder mehr mit Death Metal-Bands zu touren, aber davon gibt es momentan nicht so viele gute. BORN FROM PAIN, mit denen wir ja gerade unterwegs sind, sind unsere Freunde und das macht es angenehm, mit ihnen auf Tour zu sein. Das ist wichtiger als der Musikstil.



Was es in den Achtzigern nicht in diesem Maße gab wie heute, ist so genannter christlicher "Hardcore" ...

Oh ja, was für ein Paradoxon.



Bei eurem Punk-Background verwundert es dann schon, dass ihr jetzt Labelmates von einer erklärten religiösen Band wie NORMA JEAN seid.

Ja, das ist schon sehr eigenartig, denn viel atheistischer als NAPALM DEATH geht es kaum, auch und gerade mit Blick auf das neue Album. Ich habe zwar kein persönliches Problem mit den Typen in christlichen Bands, das sind teilweise durchaus nette Kerle, aber christlicher Hardcore ist schon ein kolossal eigenartiges Konzept. Hardcore bedeutete für mich schon immer das Überschreiten von Kontrollmethoden und die Art, wie Religion benutzt wird, ist ein Kontrollmechanismus. Im modernen Christentum gibt es Einstellungen und Botschaften, die ich komplett ablehne, wie die Haltung zur Abtreibung. Ich bin ein Verteidiger des "right to choose" und da gibt es für mich auch keinerlei Diskussion. Das ist ein Menschenrecht. Dasselbe gilt für gleichgeschlechtliche Beziehungen. Auch da hat jeder Mensch das Recht, sich für das zu entscheiden, was er möchte. Ich will damit aber nicht sagen, dass jede christliche Hardcore-Band gegen diese Rechte ist, denn viele sind es nicht, aber mit einem konservativen Label wie Tooth And Nail stimme ich in diesen Punkten sicherlich ganz fundamental nicht überein. Es ist aber schwierig, da die richtige Balance zu finden, denn man sollte Bands nicht zensieren. Mit so etwas habe ich nämlich auch ein sehr großes Problem; Leuten im Gehirn die Verdrahtung neu zu gestalten. Mich erinnert diese Sache ein wenig an die Straight Edge-Bewegung. Da passierte viel Großartiges, aber leider war auch sehr viel eine völlige Missinterpretation von dem, was Ian MacKaye ursprünglich damit ausdrücken wollte: Think for yourself! Nach der geläufigen Definition war ich selbst jahrelang Straight Edge, aber ich habe mich immer von dieser Bezeichnung ferngehalten. Da ist so viel Negatives passiert und ein so starkes Extrem entstanden: Leute, die dich auf Konzerten im besten Fall nur böse angesehen haben, weil du getrunken oder geraucht hast, im schlimmsten Fall aber verprügelten. Es gab und gibt im Hardcore also viele Bewegungen, die eine negative Seite besitzen, nicht nur die christliche. Früher war ich, was meine Überzeugungen angeht, bestimmt auch etwas krasser, aber wenn Menschen wegen ihrer persönlichen Ansichten angegriffen werden, dann ist da eine Grenze überschritten.



Jemand, der auch mal wegen seiner Überzeugungen körperlich angegriffen wurde, ist Jello Biafra, den ihr 2005 für den Song "The great and the good" als Gastsänger gewinnen konntet.

Wir haben schon länger eine Verbindung zu Jello und zu Alternative Tentacles, auch wegen der NAPALM DEATH-Version von "Nazi punks fuck off", der ja mittlerweile schon beinahe zu "unserem" Song geworden ist und den wir seit Jahren bei jedem Auftritt spielen. Jello hat sich sehr gefreut, dass er uns bei dem Song helfen konnte und ich finde das Ergebnis auch richtig großartig. Und das, was Jello damals passierte, ist auch etwas, was mich an der Punkszene so richtig ankotzt. Dass tatsächlich "Punks" so bescheuert sind, jemanden wie Jello Biafra zu verprügeln, ohne den wir eventuell heutzutage keine Platten veröffentlichen würden, mit Covern, so wie NAPALM DEATH sie beispielsweise haben. Er hat so viel für die Punkszene getan, hat immer an vorderster Front und ohne Rücksicht auf eigene Verluste gekämpft. Das war schon immer eines der großen Probleme der Punkszene, dass sie sich ständig gegenseitig in den Rücken fallen und bekämpfen müssen. Wenn du so destruktiv sein willst, dann wende dich gegen die Regierung, gegen die Leute, die wirklich Probleme verursachen. Aber deswegen verschwand die Hardcore-Szene in England auch irgendwann in den Achtzigern und zersplitterte in diverse Unterbewegungen - weil die Leute viel zu sehr damit beschäftigt waren, sich gegenseitig fertig zu machen. Fuck them! Andererseits besteht man als starke Band auch ohne irgendwelche Szenen, da gehört nur Selbstbewusstsein dazu und die Fähigkeit, sein eigenes Ding durchzuziehen. Szenen sind leider häufig nur ein Haufen Scheiße.

Barney, danke für die offenen Worte.