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NAKED RAYGUN

Over The Overlords

31 Jahre nach „Raygun ... Naked Raygun“ gibt es ein neues Studioalbum der Band aus Chicago, mit drei von vier Musikern, die damals aufnahmen: Bassist Pierre Kezdy erlag 2020 seiner Krebserkrankung. Punk-affine Altspatzen aller Geschlechter brauchen den guten, omnipräsenten Mann für alles des Alternative Rock, Dave Grohl, gar nicht, um die Meriten dieser Band würdigen zu können. Und die Qualitäten ihrer Alben von „Throb Throb“ (1985) bis zum ersten Swan-Song 1990 leidenschaftlich zu diskutieren. Ein Irrsinn auf jeden Fall, was sie auf Alben wie „All Rise“ (1986), „Jettison“ (1988) und „Understand?“ (1989) in kurzer Zeit an großartigen Songs veröffentlicht haben. Dabei waren und sind NAKED RAYGUN, ohne die essentiellen Qualitäten ihre jeweiligen Rhythmussektionen mit Drummer Eric Spicer schmälern zu wollen, in Jeff Pezzati mit einem der prägnantesten Vokalisten des US-Punk/Hardcore gesegnet – was dieser dann auch bei THE BOMB zeigte – und hatten und haben in John Haggerty (später PEGBOY) und Bill Stephens, der seit dem letzten Studioalbum zuständig ist, gleich zwei überdurchschnittlich stilsichere und -prägende Gitarristen. Was NAKED RAYGUN von jeher besonders machte, ist einerseits die große Liebe zum 77er-Punk – köstlich ihre BUZZCOCKS-, CHELSEA- und STIFF LITTLE FINGERS Coverversionen – und anderseits die Liebe zum Experiment, zu Noise – Pezzatti spielte Bass bei BIG BLACK – samt einer gewissen Intellektualität. Punx, die Bücher gelesen und verstanden haben. Damit gelangen ihnen große melancholische Hymnen („Walk in cold“) oder Meisterwerke an gebrochenem Pathos („Soldier’s requiem“), die sich hervorragend mitsingen ließen. Von all diesen Qualitäten hat das neue Album reichlich, um tendenziell nicht nur „alte“ Fans glücklich zu machen, fließt es vom eröffnenden Intro bis zum „Outro outre“ logisch und stimmig, hat eine verblüffende, mit dem Hören wachsende Hitdichte mit „Living in the good times“, „Broken things“, „Treat me unkind“ oder „Superheroes“ und mehr, samt den klassischen NAKED RAYGUN-Chören, zeigt die ungebrochene, genau richtig dosierte Lust, an der Formel zu schrauben („Soul hole baby“ oder „Suicide bomb“). Was von den Lyrics auszumachen ist, steigert die Sehnsucht auf die physische Form des Tonträgers mit möglichem Textblatt zur Ungeduld. Die Zusatz-Goodies, der Paul Barker-Remix (MINISTRY etc.) von „Living in the good times“ und eine Live-Version von „I don’t know“ sind nett, hätte es aber nicht gebraucht, um das sechste Studioalbum zu einer überaus würdigen, nie halblustigen, ohne Widerspruch freudenspendenden Angelegenheit zu machen, die, von wegen stimmig, noch dazu beim legendären Chicagoer Label Wax Trax! erscheint. Get it! (Und jetzt warten wir aufs neue SCREAM-Album!)