NAKED RAYGUN

Foto© by David Kindler

Ideenmusik

31 Jahre nach ihrem letzten Studioalbum veröffentlichten NAKED RAYGUN aus Chicago 2021 mit „Over The Overlords“ großartige neue Musik. Eingespielt noch mit Bassist Pierre Kezdy, der im Oktober 2020 an Krebs verstarb, brilliert es mit dem speziellen Punk-Pop-Appeal der Band, ebenso wie mit ihrer experimentellen, leicht sperrigen, mysteriösen Seite. Sänger Jeff Pezzati, seit 1983 in der Band, spricht via Zoom über Gestern und Heute einer der substantiellsten und interessantesten Bands des US-Punk und Hardcore.

Eintrag auf einer maschinengetippten, rätselhafterweise immer noch im Haushalt des Autors befindlichen A4-Seite mit besuchten Konzerten des Jahres 1988: „31/10/88 NAKED RAYGUN Bootleg, Augsburg“ (neun Tage später findet sich „FUGAZI Juz Ottobrunn“). Die nicht unlegendäre süddeutsche Location wurde von Linz aus angesteuert, weil die Band hoch im Kurs stand. „Basement Screams“, die erste, 1983 erschienene EP, war zwar noch Geheimwissen, aber „Throb Throb“ (1984) entfaltete seine Wirkung schon länger in diversen lokalen Punk-affinen Räumlichkeiten. Hits wie „Only in America“ oder „I don’t know“ waren Bestandteil des Soundtracks nicht nur einer eigentlich so gar nicht verschwendeten Jugend. Deren Urheber waren dabei erstmals mit Jeff Pezzati als so unverkennbarem, wie geilen Sänger im Verbund mit John Haggertys unpackbarer Gitarre zugange. Eine Musik, die alles hatte, was junge Punx so mochten und brauchten: Drive, Tempo, Energie, Emotion, und dazu noch ein schwer zu definierendes großes Quentchen (!) „Mehr“. Das war eine Ideenmusik, nicht „Formel-Hardcore“ – schneller, lauter, härter, weiter.

Noch mehr Hits dann auf „All Rise“, erstmals im vielleicht klassischen Line-up der Band mit Bassist Pierre Kezdy, Bruder von EFFIGIES-Sänger John Kezdy, und Schlagzeuger Eric Spicer eingespielt. „Home of the brave“, „Knock me down“, „I remember“ oder „Backlash Jack“, catchy, hymnisch wie der beste 77er Punk und doch nicht als rein solcher zu identifizieren, produziert von Ian Burgess – von wegen „Chicago Sound“ (Steve Albini war am Artwork des Albums beteiligt). Im schon erwähnten Jahr mit den zwei Achten folgte „Jettison“, ein von der qualitativen Dichte des Songmaterials her schlicht umwerfendes Album, mit „Soldier’s requiem“ von einem Killer-Opener angeführt, samt „Whoa-Hey-O“ und „OhOhOh“-Vokal-Exzessen. Die Lieder brannten sich nicht nur wegen derer ein. „Flammable Solid“ hieß nicht umsonst eine 7“ der Band, so benannt als Hommage an STIFF LITTLE FINGERS (deren „Suspect device“ sich auf der CD-Ausgabe von „Jettison“ in einer Live-Coverversion findet).

Im Subkultur-Shuttle nach Augsburg, einem Bandbus, der diesmal ohne Equipment und lästiges Laden desselben bestiegen wurde, war die Stimmung gewiss gut, wahrscheinlich samt NAKED RAYGUN-Vorglühen aus dem Tapedeck des Fahrzeugs. Das Konzert war klasse, die Band von einer konzentrierten, auch ungeheuer professionellen Präsenz, Pezzati mit einer ganz eigenen Körpersprache und wie auf Platte mit unglaublich klaren, akzentuierten und nuancenreichen Vocals. Strophen, einzelne Sätze, so prägnant wie Refrains. Dann Irritation, nach wenig mehr als einer halben Stunde – so hochklassig und atmosphärisch dicht diese war – wollten die vier aus Chicago abgehen. Jemand vom Club drängte, bis Pezzati, sinngemäß mit den Worten „So you want us to play a second set?!“ in seinen Koffer griff, eine neue Setlist hervorzauberte und in Kopien an seine Kollegen verteilte – weiter ging’s! Dass der Bus auf dem Heimweg vorübergehend benzinlos auf der Autobahn liegen blieb, tat der Euphorie, diese großartige Band auf der Höhe ihrer Kunst erlebt zu haben, keinen wirklichen Abbruch.

Fast noch besser wurde es nicht einmal ein Jahr später, als am 1. Juni 1989 NAKED RAYGUN quasi bei uns zu Hause, in der Linzer Kapu spielten. Lee Hollis eröffnete mit 2 BAD das hochkarätige Double Feature. Pezzati und Co. hatten das neue Album „Understand?“ im Gepäck und erwiesen sich beim Socialisen als umgängliche, nette Menschen. Einzig ihr Sound, der Gestus ihrer Musik war schon fast zu groß, zu wirkungsmächtig für den doch recht kleinen und niedrigen Konzertraum. „Understand?“ ist ohne Zweifel ein feines Album, wohl aber auch deswegen, weil mensch in diesen Jahren mit so viel großartiger, teils bahnbrechender Musik verwöhnt wurde, heute kein so ganz großer Favorit mehr. „Raygun ... Naked Raygun“, 1990 erschienen, war dann ein anfangs enttäuschender Abgesang – das Jahr danach jenes, in dem Punk „durchbrach“ und der Erfolg von NIRVANA die Karten in Sachen alternativer, subkulturell informierter und verwurzelter Musik ganz neu mischte. Das Album war mit dem neuen Gitarristen Bill Stephens eingespielt worden – Haggerty hatte die Band verlassen und machte Punx mit PEGBOY glücklich, wo auch Bassist Kezdy nach der NAKED RAYGUN-Auflösung spielen sollte. Ein merkwürdig sperriges, unzugängliches Album, anderseits von einer verblüffenden Haltbarkeit, mit dem es sich gut ringen lässt.

Zeitsprung nach 2022. „Over The Overlords“, sechstes Studioalbum von NAKED RAYGUN, erschienen auf dem Chicagoer Label Wax Trax (legendär in its own right, MINISTY et al. ...) macht deren sporadische Existenz der letzten Jahrzehnte wieder ganz konkret manifest. Ein sattes, reifes und vielfältiges Album, das ganz ohne Nostalgie-Faktor begeistert, dabei hatte die Band nicht nur mit dem Tod von Pierre Kezdy umzugehen (neben ihm ist auf dem Album Fritz Doreza an den vier Saiten zu hören, der ihn auch live in den letzten Jahren schon immer wieder ersetzte oder flankierte), denn Jeff Pezzati leidet schon länger an Parkinson. Als ich einen Freund auf das Video zu „Living in the good times“ hinweise, als Vorbote zum Album schon vor einiger Zeit zu sehen und hören, schreibt er mir nach dem Ansehen sinngemäß: „Die sind wie wir, man sieht, die haben gelebt, und sie machen immer noch Musik.“

In Chicago, der fünftbevölkerungsreichsten Stadt der USA, sind NAKED RAYGUN eine übergroße Bandlegende, samt einer Brauerei, die nach einem ihrer Alben benannt wurde – All Rise Brewing – und freundschaftlichen Banden zum Riot Fest, dessen 2016 verstorbener Mitbegründer mit der „Ode To Sean McKeough“ auf „Over ...“ gewürdigt wird, kann mensch sie in einer allgemeineren Musik-Geschichtsschreibung als Band verorten, die ähnlich HÜSKER DÜ oder GOVERNMENT ISSUE (deren „Where you live“ NAKED RAYGUN live immer wieder coverten) Punk und Hardcore als reine Genre-Musik transzendierten, anderseits aber doch zu kantig für College-Rock und zu individuell, inhaltlich und formell, kreativ unberechenbar für echten Mainstream-Erfolg waren. Pezzatis Mitgliedschaft bei BIG BLACK trägt das ihrige zur Wahrnehmung der Band bei, ungleich involvierter, was den kreativen Prozess einer Band anbelangt, war der 1960 geborene Musiker bei BOMB, die ab 1999 einige feine Platten veröffentlichten. Pezzati ist ein extrem angenehmer Gesprächspartner, sehr aufmerksam, offen und humorvoll, seine Erkrankung scheint ihn kaum einzuschränken, und wie um den Stellenwert von Musik in seinem Leben zu unterstreichen, ist im Hintergrund ein Klavier zu sehen, ebenso ab und an seine Ehefrau, die gemeinsam mit ihm „Pezzatis Nurture To Nature“ betreibt (instagram.com/pezzatisnurturetonature). Sie päppeln Waschbären auf, damit diese wieder in ihre natürliche Umgebung zurückkehren können. Was seinen Anfang damit nahm, dass sie einen solchen verirrten und entkräfteten Racoon hinter ihrem Haus fanden.

Beim Eingrooven zum Interview mit Pezzati stoße ich – neben lautem Hören von NAKED RAYGUN-Alben und insbesondere „Over The Overlords“ – beim Surfen im Internet auf eine Wortspende auf newnoisemagazin.com, wo Jeff folgenden Ausblick auf das Jahr 2021 äußerte: „Ich denke, dass sich die Dinge in den nächsten neun Monaten auf jeden Fall normalisieren werden. Ich denke, dass in den nächsten zwei Jahren alle Autos Elektroautos sein werden und dass, wenn du fünf weitere Jahre überstehst und gesund bleibst, dir die Medizin ein Leben bis ins Alter von 110 und weiter ermöglichen wird. Das kommende Jahr wird die Extreme ausgleichen, die Menschen werden einander bezüglich Rasse und Geschlecht besser wahrnehmen, lernen unsere Unterschiede zu respektieren und unsere Gemeinsamkeiten zu umarmen.“

Jeff, im Grunde kann diese Einschätzung so für 2022 stehenbleiben, oder?
Ich denke, du hast recht, ich bin nur überrascht, dass das so profund ist.

Auch angestoßen von deinen letzten Sätzen dabei, würde ich gefragt, wie ich NAKED RAGUN beschreiben würde, wäre meine Beschreibung: eine utopische Punkband.
Das ist eine gute Art uns zu beschreiben ... Ich würde sagen wie die BEACH BOYS, mit wilden Oh-Oh-Ohs über den Refrains. Nicht weil die BEACH BOYS für mich oder uns wichtig waren, sondern weil ich rüberbringen möchte, dass wir wirklich poppig sind, sehr zugänglich, gleichzeitig sehr aggressiv – und du kannst mitsingen!

„Over The Overlords“ gefällt mir ausgezeichnet. Wie lange habt ihr daran gearbeitet?
Ja, es ist ein wirklich gutes Album. Wir haben zwei, drei, vier Jahre oder länger daran gearbeitet. Wir haben eher langsam wieder mit neuem Material angefangen [die Band reformierte sich zunächst 1997 für zwei Shows, dann 2006 permanent, im Line-up Pezzati/Stephens/Kezdy/Spicer, Anm.], wir machten diese drei Singles für Riot Fest [von 2009 bis 2011, Anm.], wir hatten dann so viele Lieder und wollten ein ganzes Album machen. Aber Riot Fest waren dann wieder draußen, und wir haben angefangen, für uns selbst daran zu arbeiten, zuerst Geld fürs Studio aufzubringen. Wir spielten hier und da, verkauften ein paar T-Shirts, hatten dann etwas Geld, um die Studiomenschen zufriedenzustellen. Die alle, insbesondere Steven Gillis von Transient Sound, einen wundervollen Job machten mit dem Mix, wir könnten nicht glücklicher sein. Und ja, es ist sehr nett, und hat diesen „fetten“ Sound. Es hat auch Glockenspiel in einem Lied, wie bei Bruce Springsteen, haha! Jeder einzelne Mix ist wirklich stark, auch das Mastering, Ted Jensen hat es gemastert, der hat auch schon an „Hotel California“ von den EAGLES gearbeitet, haha.

Habt ihr viel „virtuell“ gearbeitet, Files hin- und hergeschickt?
Nein, das war noch vor Corona, wir waren fertig, bevor das wirklich losging. Das Virus war schon in China und Japan, aber es hatte Chicago noch nicht erreicht. Das war wirklich nett, wir waren alle in einem Raum und nahmen gemeinsam auf.

Plant ihr Live-Konzerte?
Wir möchten ein paar Shows spielen, um das Erscheinen des Albums zu feiern, wenn diese Corona-Geschichte vorbei ist. Aber derzeit ist es unmöglich wirklich rauszukommen, vielleicht ein paar lokale Shows.

Vor einigen Jahren waren BOMB-Konzerte in Europa angekündigt, auch in Wien war ein Termin geplant.
BOMB waren zweimal „drüben“, wir haben gespielt, aber nur in Großbritannien.

Existiert BOMB noch?
Wir halten den Backkatalog lebendig, aber wir haben lange nicht geprobt. Der Bassist ist nach Kalifornien übersiedelt, ich rede manchmal mit den anderen, wir wissen nicht recht, wie wir zusammenkommen könnten, wie das alles gehen soll. Ich weiß nicht recht, ob wir jemals noch einmal live spielen werden ... Wir hatten einen guten Lauf, wir spielten einige wirklich gute Shows, leider haben wir es nicht nach Deutschland oder Österreich geschafft, ich mag Österreich aber.

Ich konnte dich zweimal mit NAKED RAYGUN live sehen, einmal in Linz. Tolle Konzerte!
Mein Bruder Marko kam zu einer der Shows in Österreich. Er hat damals als DJ an der Grenze von der Schweiz zu Italien gearbeitet. Er musste drei oder noch mehr Züge nehmen, aber er hat es rechtzeitig zum Konzert geschafft, that was fun!

Liegt dir Live-Spielen oder die Studioarbeit mehr?
Ich mag beides. Um live zu spielen muss ich meine Stimme in Form bringen, und das braucht eine lange Zeit. Ich lebe mittlerweile zwei Stunden von Chicago entfernt und das limitiert unsere Probenzeit, wir leben an der Grenze zum Bundesstaat Iowa. Es kostet mich an die 50 Dollar an Sprit, um nach Chicago zu kommen und zurück. Und um live zu spielen, müssen wir wenigstens dreimal die Woche proben, oder drei Tage am Stück – bevor wir live spielen, proben wir wirklich viel für unsere Konzerte. Das Studio mag ich auch sehr, du kannst Dinge tun, die live nicht gehen, Glockenspiel, haha, Streicher ... „Farewell to arms“ hat diese tollen Bläser. Ich mag wirklich beides.

Du bist ein sehr prägnanter, unverkennbarer Sänger. Hattest du jemals eine formelle Ausbildung dafür?
In der Highschool, ich war in der 11. oder 12. Stufe. Miss Stone hat einen verdammt guten Job gemacht: Atmen, die Stimmbänder aufwärmen und stärken, Tonbildung. Das gab mir eine sehr gute Basis fürs Singen, auch damit die Stimme Konzerte und längere Tourneen durchhält.

Beim Eingrooven für unser Gespräch bin ich auf deine Solo-Sachen gestoßen [„The First EP“, als Pezzati digital veröffentlicht, dort anzuhören und zu kaufen: pezzati.bandcamp.com/album/the-first-ep].
Manche der Stücke sind ein bisschen esoterischer, wimpier, als man es vielleicht erwarten würde, aber „Make me whole (The Chinese wall song)“ – das ist wirklich mein Opus Magnum, es ist sicher einer der besten Songs, die ich je geschrieben habe. Ich schreibe ständig Musik an meinem Rechner.

Ja, das ist ein sehr berührendes Lied. [Unter anderem singt Pezzati in diesem unverhohlenen Lovesong: „Dug the Panama Canal, hands got shot to hell. I’d do anything for you. And built half the Chinese wall. Would have built it all, I’d rather spend my time with you. The world made me cruel, made me mean, made me old. But you, you, make me whole. Make me whole.“] Viele Stücke auf „Over ...“ sind vergleichbar emotional, ungeschützt, lassen einen nicht kalt, „Living in the good times“, „Broken things“ ...
Jedes Lied ist sehr stark, funktioniert für sich. Es ist eine sehr gut geschriebene Platte, wir haben uns viel Zeit gelassen und das merkt man auch. Jeder hatte wenigstens zwei Songs mitgebracht, es ist sehr divers, geht aber auch gut zusammen. „Suicide bomb“ habe etwa ich geschrieben, ein sehr ernstes Lied, und dann kommt der weibliche Gesang, was ihm noch einen anderen Twist gibt.

Wie hat sich Pierre Kezdys Erkrankung auf euren Arbeitsprozess ausgewirkt?
Pierre hat noch alle Endmixes gehört. Er war wahrscheinlich sogar mehr im Studio als ich, er war bei allen Overdubs dabei, brachte zwei Songs ein und spielte auf der Platte.

Früher habt ihr das Songwriting genau aufgeschlüsselt, diesmal steht da: „Music and lyrcis by NAKED RAYGUN.“
Das ist wegen der Tantiemen, es erscheint uns fairer so, wenn jeder das Gleiche bekommt. Ich kann dir aber gern erzählen, welcher Song von wem ist.

Schwach ist das Album nur an Whoa-(H)Ey-Os ...
Dafür hat es jede Menge Aaahs und Uuuhs. Backing Vocals sind einfach sehr, sehr wichtig. Eine gute Harmonie und Backing Vocals – damit steht und fällt ein Song, sie machen ihn aus. Es gibt da diese australische Band, LIME SPIDERS, großartig, aber nur eine Stimme ...

Hattet ihr so was wie ein Konzept für „Over The Overlords“?
Es war uns wichtig, dass es als ein Album wahrgenommen wird, dieses noisige Intro zieht sich als ein roter Faden durch, die A-Seite hat die wirklich starken Songs, die B-Seite ist brüchiger, es funktioniert als Ganzes. Das Cover hat ein Freund von uns gemacht, Miguel Echemendia, er hat schon Poster für unsere Konzerte gestaltet und spielt auch Schlagzeug. Er hat unsere Anregungen geduldig umgesetzt.

Gibt’s mehr neue Lieder?
Wir haben diese drei Singles auf Riot Fest gemacht, die nicht sehr gut vertrieben wurden. Die B-Seiten sind auch stark, es gibt also diese sechs Songs, wir werden die mit vier oder fünf neuen Songs als Album rausbringen. Wir haben schon ein Cover dafür, das finden wir alle sehr stark, das wird rauskommen, jetzt müssen wir noch die Lieder schreiben ...

Konntet ihr eigentlich jemals von der Musik leben und warum habt ihr euch damals aufgelöst?
Ich kann jetzt beinahe von der Musik leben. Es gibt da diesen Film „Tag“, mit Jeremy Renner. In einer Barszene spielen sie „Hips swingin’“ [vom NAKED RAYGUN-Album „Understand?“, Anm.] und dafür bekomme ich wirklich anständige Tantiemen. I’m stuck with music. Damals hat es sich mehr oder minder verlaufen, wir haben geheiratet und bekamen Kinder, Eric zuerst, dann ich, Pierre hat fünf oder sechs Kinder. Eines davon holte er auf dem Küchenboden auf die Welt, sie haben es nicht mehr ins Krankenhaus geschafft und trotzdem haben die ihm den Satz für eine Krankenhaus-Geburt berechnet, er musste also echtes Geld verdienen. Und dann haben NIRVANA übernommen ... und GREEN DAY ...

Ihr habt 2016 mit den FOO FIGHTERS gespielt, gemeinsam mit URGE OVERKILL und CHEAP TRICK.
Wir haben zweimal mit ihnen gespielt, einmal in Indianapolis und zwei Tage später im Wrigley Field in Chicago, das ist ein klassischer alter Baseball-Park, ich habe dort früher selber tagsüber gespielt. Das ist ein guter, cooler Ort, eigentlich sehr unmittelbar und überschaubar. Es war nett, dort Musik zu machen, Teil dieser Show zu sein. Die FOO FIGHTERS waren sehr nett zu uns, die Verpflegung war großartig, nette Menschen – wir haben nur Gutes über sie zu sagen. Und für mich als Sänger ist es so, ich bin kurzsichtig, und alles, was weiter als fünf Meter entfernt ist, ist sowieso verschwommen. Es ist also eigentlich egal, wie groß der Ort ist, an dem wir spielen. Ich hatte früher Kontaktlinsen, jetzt habe ich eine Brille, aber die trage ich nicht beim Spielen, ich mag das Verschwommene. Ich konzentriere mich darauf, Liebe mit dem Mikrofon zu machen, du singst besser, wenn du da ganz reingehst. Die Lieder sind eingebrannt, die kommen einfach raus. Was die neuen angeht ... manchmal denke ich mir, was sind die Worte in der zweiten Strophe, und dann kommt die Musik und sie sind da.

Wie ist das beim Texteschreiben? Schreibst du ständig, gibt es da Einflüsse?
Ich schreibe eher jeden Monat ein kleines Stück. Ich entwickele lieber zuerst die Stimmlinie oder einen Refrain, und baue das so auf. Bei BOMB hatte der Gitarrist sechs Stücke auf einmal und ich sollte das dann auf einmal entwickeln, den Gesang und die Texte. Ein großer Einfluss auf meine Lyrics sind JOY DIVISION. Ich denke, das sind wirklich berührende Texte. Musikalisch allerdings sind es eher BUZZCOCKS, frühe WIRE, frühe GANG OF FOUR ... die frühen STRANGLERS vielleicht auch noch. Das hat mich und uns alle sehr beeinflusst. Wir wollten auch so sein, hatten denselben Gedanken, einzigartig zu sein und gleichzeitig Punk.

Hörst du dir eure alten Alben an, wie siehst du die heute?
Einige könnten ein bisschen besser abgemischt sein, speziell das letzte Album, aber wenn ich es mir anhöre, mag ich es mehr und mehr. Der Gitarrensound kam nicht wirklich gut raus. Manche sind ein bisschen rauh, aber ich mag sie alle. Wer immer sie damals abgemischt hat, hat einen guten Job gemacht.

Wir hatten ja immer viel Spaß mit der deutschen Übersetzung eures Bandnamens, Nackte Strahlenpistolen ...
Vor langer Zeit waren vier Menschen in einem Raum, und mein Bruder Marko sagte: „Nacktheit muss im Namen vorkommen.“ Das ist alles, an was ich mich erinnere. Ich bin froh, dass wir nicht die CRUCIFUCKS sind. Es ist ein guter Name, du weißt nicht wirklich, wie wir klingen werden vom Namen her, es bleibt ein Rest von Geheimnis übrig. JOY DIVISON hatten das auch. Ian Curtis war ein furchtbarer Sänger und trotzdem waren die Songs so prägnant, so kraftvoll.

Prägnant und kraftvoll kann mensch auch euer neues Album nennen.
Ja, es ist sehr befriedigend, es wird eine Weile halten. „Suicide bomb“ ist mir sehr wichtig. Wie kann man so sehr an etwas glauben, dass man dafür sterben will? Bill Stephens hat auch starke Sachen geschrieben. Und was Eric in „Broken things“ sagt: „It sucks sitting here in the dark / with my face in my palms.“ Er hat das sehr pointiert rübergebracht, dieses wirklich mitleiderregende Bild, das ist sehr, sehr traurig und gleichzeitig sagt es, „du bist nicht alleine dort draußen“. „Farewell to arms“, der Abschluss des Albums, ist vielleicht überraschend, weil es ein Rock’n’Roll-Song ist, aber es ist uns sehr wichtig, uns gegen Waffen auszusprechen. Manchmal sieht es so aus, als ob jeder einzelne Mensch in den USA eine Waffe hätte, und nicht nur eine. Es scheint, als liebten sie ihre Waffen mehr denn ja, als würde die Pro Gun-Stimmung stärker. In Chicago werden drei Menschen täglich auf dem Highway erschossen, die Gangs sind außer Kontrolle, es ist zwar „nur“ Gang-interne Gewalt, aber das ist doch auch furchtbar. Es gibt Stadtviertel, da haben die Kids keine Chance ... Das ist einfach unerträglich.

Du singst da: „Homicide, kids in school can not hide / Genocide, kids will finally turn the tide / No black eyes / Farewell to arms, it’s way past time.“ Wir haben mit einem Neujahrsausblick von dir begonnen, dann auch eine Utopie gestreift und sind jetzt wieder bei der Gegenwart gewordenen Dystopie. Kommen wir mit dem Virus immer mehr in letzterer an?
Meine Schwiegermutter will sich einfach nicht impfen lassen, und ich verstehe es einfach nicht. Es hilft dir in jedem Fall, damit die Krankheit keinen schweren Verlauf nimmt. Andererseits habe ich den Eindruck, dass viele Menschen zu reflektieren beginnen, was wirklich wichtig in ihrem Leben, für ihr Leben ist. Was brauche ich wirklich in meinem Leben, will und muss ich wirklich diese fancy Person sein. Die Menschen fangen an, ihre Lebenszeit ein wenig wirklich wertzuschätzen.