Die Hamburger RANTANPLAN waren bislang vor allem bekannt für Ska-Punk. Jetzt ist das neunte Album „Licht und Schatten“ erschienen und schlägt langsamere, nachdenklichere Töne an als zuvor. Das wirft Fragen auf. Und führt zu einem Gespräch mit Frontmann Torben Meissner, das mitten hinein ins Persönliche geht. Und mitten hinein in die Wunden der heutigen Gesellschaft.
Torben, wenn ich „Licht und Schatten“ höre, dann merke ich, ihr habt euch in Sachen Tempo ein wenig zurückgenommen ...
Ja, wir haben einen Gang zurückgeschaltet, nachdem wir mit der vorigen Platte „St. Pauli“ ja noch ordentlich einen rausgehauen hatten in Sachen Ska-Punk. Das ist einfach so passiert. Wir wollten die Scheibe eigentlich anders aufnehmen. Aber dann hatten wir dreißig Songs fertig, haben die Hälfte aussortiert – und dann kristallisierte sich das so heraus.
War „Licht und Schatten“ also eine besonders schwere Platte?
Das nicht, denn jede Platte ist schwierig. Beziehungsweise es wird immer schwerer, mit jeder neuen Platte. Und „Licht und Schatten“ ist unser neuntes Album. Ganz früher war es für Bands noch einfacher. Da gab es von der Plattenfirma die Vorgabe: Bitte nur zwei Hits und der Rest schlechter, damit die Radio-DJs klarkommen mit der Songauswahl. Da hat keiner an die nächste Platte gedacht. Aber das ist heute anders. Wir haben den Anspruch, uns immer wieder selbst zu toppen.
Ist es schwierig für dich, den Punkt zu finden, an dem du mit einem Album zufrieden bist und die Aufnahme für beendet erklärst?
Nee, das machen ja auch eher so die Frickel-Leute. Der Typ Mensch also, der perfekt Gitarre spielt, der sich aber nicht wirklich was ausdenken kann. Und das, was dann rauskommt, ist Mist. Ich bin da sehr eigen. Weißt du, ich kann auch nicht ein Album nach dem anderen machen. Denn ein Album ist für mich eine Aggressionspumpe. Eine Entladung von dem, was im Alltag auf mich einströmt. Und man kann nicht jeden Tag kreativ sein. Das wäre krank. Man muss sich ja erst mal immer wieder aufladen. Sich selbst reflektieren. Einen Abstand bekommen. Und dann geht man wieder in den Tunnel und macht so was wie „Licht und Schatten“. Und dann kann es eben auch passieren, dass wir uns gegenseitig bei den Aufnahmen anschreien.
So heftig war es?
Ja. Da kam einiges zusammen. Der Wunsch, eine gute Platte zu machen mit guten Songs. Dann ist meine Mutter kurz vor den Aufnahmen gestorben. Ich hatte einen Nervenzusammenbruch. Ich habe im Studio gewohnt, weil ich nach einem Ehekrach zu Hause ausgezogen bin und keine Bleibe hatte. Das war eine extreme, sehr intensive Zeit. Aber das ist mein Leben irgendwie generell ...
Das heißt, du könntest jetzt gleich schon wieder Songs fürs nächste Album schreiben?
Du wirst lachen, das habe ich schon. Aber es ist kein RANTANPLAN-Album, sondern eine Reggae-Scheibe mit jeder Menge dunklem Scheiß. Richtig abgefahren. Ich wohne seit drei Monaten in einer Abstellkammer von acht Quadratmetern in der Bude von unserem Merchandiser, der auch Schlagzeuger ist und Reggae mag, und dem es seelisch gerade auch nicht so gut geht. Und mit ihm probe ich derzeit diese neuen Songs. 17 Stück haben wir schon. Aber das nur am Rande. Schließlich geht es hier ja um „Licht und Schatten“, haha.
Das ist trotzdem interessant. Solche Schicksalsschläge hemmen dich als Künstler also nicht, sondern im Gegenteil, die Musik ist für dich eine Therapie, um dich dann besser zu fühlen?
Musik ist für mich seit jeher ein Rettungsschirm. Ich nehme die Gitarre jeden Tag zur Hand und spiele drei Stunden – es sei denn, ich muss gerade mal so heftig auf dem Bau arbeiten, dass mir die Finger wehtun. Ich brauche diese tägliche Jagd nach Killerriffs. Musik ist ein Ausdrucksmittel für mich und nimmt mir die Aggressionen. Wenn ich Gitarre spiele und dann vielleicht noch einen schönen Text drüberlege, dann ist die Welt in dem Moment für mich mal so richtig schön und in Ordnung.
Und was ist, wenn dich die berühmt-berüchtigte Schreibblockade ereilt?
Das kenne ich gar nicht. Ich kenne zwar so eine Art Loch, also dass ich mal ein paar Wochen lang gar nicht schreibe. Aber ich habe selbst für solche Situationen immer Songs auf Halde, an denen ich dann herumprobiere. Und zur Not spiele ich eben ein paar METALLICA-Riffs. Apropos: Die neue Scheibe von denen ist mal richtig geil, oder? Wahnsinn!
„Licht und Schatten“ ist musikalisch sehr abwechslungsreich und hat textlich einiges zu bieten.
Das wollten wir auch so. Ich wage zu sagen: Diese Platte hat sogar so viel Tiefgang, dass wir nur mit Ach und Krach einen Plattendeal bekommen haben. Aber ich bin Mitte vierzig. Was soll ich da mit Flachheiten um mich schmeißen?
Warum, denkst du, war es so schwer, ein Label zu finden? Sind Botschaften in Songs wie „Schattenmensch“, in dem du die sichtbare Armut der Menschen auf der Straße und die Ignoranz der Gesellschaft besingst, nicht genau die Inhalte, die es heute braucht?
So sehe ich das ja auch. Das ist ja auch unsere Aufgabe. Und am Ende weiß ich auch nicht, warum wir so lange suchen mussten. Ich weiß nur, du brauchst ein Label – und das haben wir jetzt mit Drakkar. Denn wenn du alles im Eigenvertrieb und undergroundmäßig machst, dann verkaufst du vielleicht 2.000 Platten. Und das ist einfach zu wenig, wenn du das mit dem Geld vergleichst, das wir im Studio ausgegeben haben. Mit der Mühe, die wir in diese Platte gesteckt haben.
Das gute alte D.I.Y.-Prinzip taugt also nichts?
Ach, weißt du, der Ansatz von D.I.Y. ist gut und okay. Aber das ist nicht das, was ich nach 22 Jahren RANTANPLAN brauche. Ich bin ja ohnehin in der Position, in der ich immer „Danke“ sagen muss für nichts. Danke dafür, dass es hier keinen Pennplatz gibt. Danke dafür, dass es hier nur Scheiße zu essen gibt. Danke, dass ihr die Handtücher für uns auf der Bühne vergessen habt. Ich muss mich für alles bedanken, weil Kritik sonst hammerhart auf einen zurückfällt und man dann auf Jahre hinaus der Buhmann ist. Ich muss den Demütigen machen. D.I.Y. benutzen doch viele Leute nur, um ihr nicht vorhandenes Talent zu kaschieren. So nach dem Motto: „Wir sind so heftig politisch und korrekt, dass ihr uns mal gar nix könnt.“
Trotzdem fühlst du dich der Punk-Szene noch zugehörig, oder?
Na klar! Wir sind doch die Rudeboys von der Reeperbahn, haha! Und wir ziehen von Live-Show zu Live-Show. Schließlich existiert die Szene noch. Auch wenn die Kids heute fast alle gleichgeschaltet sind. Früher hat eine Sendung wie „Deutschland sucht den Superstar“ dem Punk ja noch viele neue Fans zugetrieben, weil die sich dachten: „Verdammt, da muss es doch noch was Gehaltvolleres geben!“ Und dann sind die eben beim Punk gelandet. Heute ist auch das selten geworden.
Wo und wann schreibst du die meisten Songs?
Meist im Tourbus. Da sitzt du stundenlang in so einer Dose, da ist das ein guter Zeitvertreib. Zumal bei mir der Alltag eben recht turbulent ist und mir darin die Zeit fürs Schreiben von Songs oft fehlt. Ich habe ein volles Leben: Ich habe drei Kinder. Eine Band. Musikalische Nebenprojekte. Ich muss arbeiten gehen, um die Miete zu zahlen. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Hinzu kommen die eben angesprochenen Probleme ... Wenn ich mich da nicht mit Sport fit halten würde, würde ich zusammenbrechen. Aber das soll keine Klage sein. Denn Deutschland ist nach wie vor das Luxusland Nummer eins. Und das Luxusjammerland Nummer eins! Wir waren gerade in Ungarn, Videos drehen – und den Leuten da geht es richtig dreckig. Viele Obdachlose. Keine Kohle. Das ist mal wirklich schlimm. Hamburg ist die Stadt der Millionäre, in der es vielen Leuten trotzdem dreckig geht, ohne dass es die Millionäre merken würden. Da sitzen Leute völlig fertig am Tresen. Sind allein. Das sind viele Schattenmenschen. Wir sind alle letztlich irgendwie Schattenmenschen und müssen wieder ans Licht.
Wie meinst du das?
Na ja, es wird immer schwieriger im Leben, glücklich zu sein. Als 24-Jähriger schmeißt du ein paar Drogen ein und fühlst dich unsterblich. Im Alter geht das nicht mehr. Und das merkst du. Die Leute ändern sich. Sie pöbeln sich auf der Straße nur noch an. Keiner ist mehr wirklich bei sich. Alle werden durch irgendwas geknechtet. Und das macht mich fertig. Ich schaue schon kein Fernsehen mehr, weil ich das nicht aushalte. Diese Welt ist grausam. Überhaupt: Geh mal in den Supermarkt: Da gibt es überall Verbrechen an der Menschheit und an der Menschlichkeit. Was für Schweinereien in einer Tüte „Haribo“ stecken – das ist Wahnsinn! Oder dieser Nationalstolz ... Ich habe mich erst heute noch darüber geärgert. Da bin ich durch Altona gegangen und habe mehrere Deutschland-Fahnen in den Fenstern gesehen und habe gedacht: Was für eine Scheiße! Bei der Fußball-WM 2006 wurde dieser Nationalstolz auf die deutsche Fahne wieder reaktiviert. Ein Stolz, der schon fast verschwunden war. Und das jetzt wieder wegzubekommen, aus den Köpfen zu bekommen, das wird wieder Jahrzehnte dauern. Flüchtlingskrise, PEGIDA, AfD – manchmal denke ich ja schon, Angela Merkel ist die vernünftigste Politikerin hierzulande. Das muss man sich mal vorstellen!
Wie schwer ist es, all diese Dinge – die Werte, das Nachdenken über die Gesellschaft – an die eigenen Kinder weiterzugeben?
Das ist schwierig. Aber natürlich muss man auch einen kleinen Menschen schon moralisch schulen ... Bisher hat das auch ganz gut geklappt bei mir. Weißt du: Mein Jüngster, der 13 Monate jung ist, heißt nicht umsonst Tito. So wie Josip Broz, der ehemalige Staatschef Jugoslawiens. Er soll irgendwann nämlich mal Jugoslawien wiedervereinen und den Menschen dort den Frieden bringen, haha. Und er und seine Brüder können auch jederzeit meine Che Guevara-Bücher lesen. Ich habe die alle durch. Die sollte überhaupt jeder einmal lesen. Das war nämlich ein großartiger Mensch. Genauso wie Fidel Castro.
Der kürzlich gestorben ist und nicht unumstritten war als Politiker mit diktatorischen Zügen.
Ich war anfangs auch skeptisch. Mittlerweile bin ich aber Castro-Hardliner und war ein paar Tage lang richtig traurig, als er gestorben ist. Da habe ich meine Alkoholregel, die besagt, dass ich nur nach Konzerten etwas trinke, zeitweise aufgehoben und ein paar Gläser Rum auf ihn getrunken.
Warum verehrst du Castro?
Weil er noch ein echter Politiker war. Er wurde ja von den USA gezwungen, sich abzuschotten. Er hat zig Attentate überlebt. Er hätte, ehe seine Laufbahn anfing, Baseball-Pitcher bei den New York Giants werden und Millionen verdienen können, hat sich aber für die Politik entschieden und gesagt: „Danke! Aber ich muss meine Leute befreien.“ Und warum? Weil er dafür brannte! Er hat das durchgezogen und Kuba ist dank ihm seit der Revolution eine Enklave innerhalb aller Länder in Mittel- und Südamerika, wo sich die Menschen wohl und sicher fühlen. Heute hat jedes Dorf eine Krankenstation, ein Notstrom-Dieselaggregat und eine medizinische Versorgung, meist homöopathisch. Die sind weltweit führend im Bereich neurologische Erkrankungen. Das ist ein wahnsinnig fortschrittliches Land mit wahnsinnig intelligenten, lieben Einwohnern. Und das hat Castro geschafft!
Wir können festhalten: Einen Menschen wie Fidel Castro würdest du in Deutschland derzeit kaum finden?
Richtig. Den wirst du hier nicht finden. Hier sind alle nur krank. Erich Fromm hat den Deutschen ja schon in den Fünfziger Jahren eine Massenschizophrenie diagnostiziert. Was meinst du, was er sagen würde, wenn er das heute sähe? Da würde er ganz andere Wörter benutzen ... Aber was willst du in einer kapitalistischen Gesellschaft, einer kapitalistischen Welt erwarten? Die zwingt dich ja, schizophren zu werden.
Ist für dich inmitten dieser Welt, die einen manchmal verrückt macht, das Glas eher immer halbvoll oder halbleer?
Unbedingt der Typ „Das Glas ist halbvoll“! Man muss jeden Tag aufstehen und sich das klarmachen. Notfalls auch einreden. Das gelingt nicht immer, ich weiß. Aber Versuch macht klug. Jeder muss seine Existenz jeden Tag aufs Neue bestreiten und sein Glück suchen. Das war damals auch die Gründungsintention von RANTANPLAN: Ich war körperlich und seelisch fertig, habe meine bürgerliche Karriere abgebrochen und gesagt, ich versuche es jetzt mit einer Punkband. Und dieser Versuch dauert jetzt seit 22 Jahren an, haha.
Ist „Licht und Schatten“, das sich all dieser Dinge annimmt, das reifste Album von RANTANPLAN?
Ich würde sagen ja. Denn wir haben es darauf angelegt, die Texte tiefgründiger zu gestalten und musikalisch abwechslungsreicher zu klingen. Wir wollen das Land der Dichter und Denker retten und all das alte Zeug zurückholen. Ich habe in der Phase des Songschreibens und Aufnehmens viel Schiller und Goethe gelesen. Das hat irgendwie abgefärbt, würde ich sagen.
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