BOXHAMSTERS

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Thesaurus Rex

BOXHAMSTERS-Sänger Co erinnert sich fürs Ox an die Hintergründe der Songs des Best Of-Albums

Was tun, wenn die alten Platten vergriffen sind? Alles wieder neu auflegen? Hatten wir aber anno 2000 schon mal. Ein hundsgemeiner, fünfstelliger Betrag, der am Ruin unserer Plattenfirma Community (ehemals Big Store) nicht ganz unbeteiligt gewesen sein dürfte. Und da die letzten drei Alben aktuell noch lieferbar sind, kam die Idee für eine Art „Best Of“ oder „BOXHAMSTERS Greatest Hits“. So eine richtig schöne Doppel-LP mit vier Seiten vom Besten, was wir mal hinterlassen werden. „The Early Years“ wäre noch so ein scheußlicher Namensdrache gewesen, aber auch ihn konnten wir mit wildem Klingengefuchtel verscheuchen. Um die Dramaturgie zu vereinfachen, wurde die „Kinder aus Bullerbü“-Platte (1988) rausgenommen. Die kommt vielleicht später einmal eins zu eins hinterher – ist nicht jeder noch so holprige Erstling einer später recht beliebten Band irgendwann zum Selbstläufer geworden? Und übrig blieben die vier Platten von 1990 bis 1996, vom „göttlichen Imperator“ über „Tötensen“ und „Prinz Albert“ bis zur „Tupperparty“. Immer noch ein gewaltiger Nibelungenschatz, den es behutsam und weise zu teilen galt: Aus unzähligen Briefen, geheimen Depeschen und den nicht zu unterschätzenden Rufen des werten Publikums während der Konzerte (sowie dem stark überhopften Gerede danach), hatte sich in all den Jahren eine Art Favoritengemeinschaft aus Titeln herausgebildet, über die die untereinander heillos zerstrittene einköpfige Jury mit strengen Blicken zu richten hatte.

Thesaurus kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet „Schatz“ oder auch „Schatztruhe“. Nicht unpassend ... Im Neudeutschen wird der Begriff auch gerne bei Schriftprogrammen für „Wortschatz“ genutzt, aber da der Begriff „Bescheidenheit“ in unserem Wortschatz gänzlich unbekannt ist, haben wir dem mächtigen Saurier noch eine kleine Krone aufgesetzt: Thesaurus Rex. Da ein einzelner Musikjournalist offenkundig nicht in der Lage war, dieses gewaltige Fossil in seiner ganzen Schönheit zu beschreiben, bat dieser einzelne Musikjournalist mich als Fachkraft zu Rate, einen, der bereits 1985 die Hochschulbank der Paläontologie drückte. Und keinen recht kleinen Geist, wie ich meine, den bösartige neue Richtlinien wenig später (2004) scheinbar grundlos zwangsexmatrikulierten! Seitdem starker Hass auf alles Studentische. So möchte ich nun beginnen, dem jungen und wissensdurstigen Leser sauber und ehrlich darzulügen, wie es sich seinerzeit zugetragen haben könnte.

DIE ERSTE SEITE

„Der göttliche Imperator“ (Frühjahr 1990)

Die Platte mit dem Maschinengewehrschlagzeug

Ort: Studio Mohrmann, Witten. Obere Etage Studio, im Erdgeschoss Video (System 2000) und Alkohol.


„Du darfst erst runterkommen, wenn das Lied einen Text hat!“, tönt es von unten. Also spät abends in Eile binnen zehn Minuten eine belanglose Geschichte über einen „guten König“ hingehuscht, dann nix wie runter. Im Räderwerk sozusagen – meint Sartre.

Den Text von „Zu klein“ sollte ich mir ein Jahr später von Lado-Pascal, Silke von Spex und einigen Ostzonensuppenwürfeln im alten Pudelsclub (du alte Hanse, unsere Schatzstadt) haarklein erklären lassen. Es wurde von hamstertypischer „Zukleinness“ geredet. Einwände meinerseits, ich hätte über diesen Zeilen einfach nur zwei Enten zugeschaut, wie diese tapfer und endlich erfolgreich gegen einen schneeschmelzigen Bach anschwammen, wurden von niemandem weiter wahrgenommen. Jensen machte es schlauer. Er hockte ein paar Meter weiter mit der Ollen an der Bar und kippte den Schnaps.

Würde ich nach einem großen Philosophen oder dem kauzigsten Denker unserer Epoche gefragt werden, dann fielen mir zunächst nicht Namen wie Eisenberg oder Adorno ein, sondern ich würde schnurstracks den Nordamerikaner Charles M. Schulz vorschlagen. Und so versteckt sich bei uns immer mal wieder eine Zeile voll großer Snoopy-Weisheit: „So ein Käfer hat’s gut – er muss den ganzen Tag nur aufpassen, dass niemand auf ihn tritt.“ Wunderschön. Aber den Refrain mit dem „Schmetterling“ hab ich mir selber ausgedacht, Ehrenwort.

„Alter Film“. Eine politische Standortbestimmung bei zunehmend brauner Bewölkung über dem neuen Doppeldeutschland. Aber bloß nicht zu links, da gehören wir nicht hin.

Unvergessen, wie Radiomoderator („Der Ball ist rund“ im HR 3: damals Pflichtprogramm!) und Batschkapp-DJ Klaus Walter spontan „J. Lipstick“ auflegte, nachdem er uns zwei Hübschen auf der Treppe oberhalb vom Dancefloor sah. Sind dann mit hochroten Köpfen jene nicht enden wollenden Stufen heruntergemajestätet. Ob wir, unten angekommen, jubelnd von der Bevölkerung mit Blumen überschüttet wurden, entzieht sich meinem Erinnerungsvermögen.

„Die BOXHAMSTERS klauen sich keinen Sound, sie krallen sich ihn“, wurde mal über uns geschrieben (Spex 1991). Und wenn wir gekrallt hatten, ließ sich eine Verbeugung vor den Originalen gerne im Songtitel wieder finden und ist im Falle von „Wedding Präsident“ eine lösbare Aufgabe für den findigen Ratefuchs. Anzumerken, dass englisches Konfekt bei uns zu jeder Zeit eine große Rolle gespielt hat und ich mehr mit Edwyn Collins geistesverwandt bin als mit meinetwegen Johnny Rotten. Immer wieder mal betonenswert.

So endet der erste Gesang.

 


DIE ZWEITE SEITE

„Tötensen“ (Frühjahr 1991)

Die Platte mit dem Gitarrenoverkill

Ort: Wie beim letzten Mal. Video 2000 verschwindet aus den Regalen der Videotheken und so müssen wir jeden Abend entweder „Star Wars“ oder „Das Boot“ gucken.


Bei „Es regnet“ fällt mir auf, dass die Texte zunehmend nebulöser werden. Das Lied spielen wir heute immer noch, es scheint unserem aktuellen, extrem hohen und modernen Nebulösitätsstandard gewachsen zu sein. Ein findiger Hörer versucht, den Songwriter mit der Behauptung zu überführen, ein Melodiebogen im Gitarrensolo wäre unverschämt keck von der Titelmelodie der Quizshow „Die Pyramide“ „ausgeliehen“. Zwischen Dieter-Thomas Heck und mir war das eigentlich nie ein Thema.

„Große Augen“. Olaf Opal bittet uns darum, wenigstens dieses eine Stück nach seinem Gusto abmischen zu dürfen (kein: „Gitarren lauter! Mehr Gitarren!!“) und so klingt immerhin ein Lied auf der Platte ordentlich. Für einen Pro-Cannabis-Sampler aus Darmstadt war eine textlich veränderte Version als Beitrag gedacht, der aber nie realisiert wurde. Er begann mit: „Rote Augen schauen mich an, sie haben sich einen reingefahr’n“ ...

Ein Geschenk anderer Art ist der Freundschaftsgruß an Martin nach Mönchengladbach. Schnapp dir deine Lieblingsband und denk dir den Song aus, den die zu schreiben vergessen haben: „Der Junge von nebenan“. Six strings for some real secret, sonic riffs. SONIC YOUTH waren 1986 in London live eine echte Offenbarung!

1986 war auch das Jahr der Dauerleihgabe eines Fostex-Vierspurrekorders (über etliche Jahre hinaus) und mit dem Ding entstanden Fragmente und Liedchen wie „Blümchen“ oder „Daumenkino“ von dem aktuellen Album „Brut Imperial“. Daheim, im Zimmer mit den hohen schwarzen Wänden ...

Über die „Der göttliche Imperator“-LP urteilte Moses im Zap 1990 sehr löblich, mit der Einschränkung, dass ihm ein paar Ecken und Kanten gefallen hätten. Also sind Weilo und ich ins Ecken-und-Kanten-Fachgeschäft geeilt und haben ein paar Ecken und Kanten gekauft. „Kirsch“ ruft übrigens der arme Hausierer Jacquier, nachdem er das „Gasthaus zum Löwen“ betritt. In welchem Film wohl? Wir haben vergessen, zurückzurufen: „Noch einen!“

„No need for Nieten“ gab keine Antworten, sondern stellte schon 1991 prophetisch die Frage, warum ständig Generationen von geklonten Jungpunkern heranwachsen müssen, allesamt und immer wieder die Hitparade von 1982 auf ihrer Lederjacke, nebst teuren Nieten, an denen man sich wehtun kann. Punk war und ist die konservativste Jugendbewegung, die mir bekannt ist, und der Uniformierungszwang junger Menschen wird in jüngster Zeit durch den Verkauf von „veganen Lederjacken“ gestillt. Aua.

Zeit für ein kurzes Theaterstück. Ort: Ein Toom-Markt in einer Universitätsstadt, zum Beispiel Mittelhessen, vor gar nicht langer Zeit. Darsteller: eine kleine Familie. Beide Elternteile unauffällig und zweckmäßig bekleidet, beide mit Punk-Hintergrund. Früher hätte man von Punk-Vergangenheit gesprochen, aber im „Tagesschau“-Neudeutsch könnten sich Menschen mit Migrationsvergangenheit noch ausgegrenzter, ja gar kriminalisiert fühlen.

Weitere Darsteller: zwei Punkmädels. Beide voll aufgebrezelt und eine der beiden jungen Damen trägt eine neuwertige Leder(?)jacke voller Nieten, die bei genauer Inaugenscheinnahme den Bandnamen und das Logo einer längst vergessen geglaubten britischen Hardcore-Legende erkennen lässt.

Die kleine Familie betritt den Obst-und-Gemüse-Bereich des Supermarktes, in dem sich bereits die beiden schicken Lagerfeldpunketten befinden. Die Mutter spricht eine der beiden jungen Damen an.

Mutter: „Boah, die vielen Nieten – das muss doch eine Unmenge gekostet haben??!!“

Punkette: „Mmm, ja, mmm ja.“

Mutter: „Der Schriftzug auf deiner Jacke sieht ja fast so aus, als ob er mit dem Lineal gezogen worden wäre??!!“

Punkette: „Ja, wie denn sonst?“

Ende, Vorhang

So endet der zweite Gesang.

 


DIE DRITTE SEITE

„Prinz Albert“ (Mai 1993)

Die politischste Platte

Ort: Zum letzten Mal im alten Studio in Witten, zum letzten Mal mit Weilo. Der schwarze Mann von EA80 hilft beim Abmischen.


Wichtigste Studiolektüre waren die wöchentlichen Ausgaben der Neuen Spezial, einem Schlagzeilenballerblatt – ähnlich aufgemacht wie eine Bild-Zeitung, aber mit seriösen Themen wie „Pelzmantel tötet Frau“ oder „Skelette von Adam und Eva gefunden“. „Der windige Winfried“ sprach uns als Artikel besonders an. Die Story eines Mannes, der wegen heftigen Magengrimmens unter solchen Blähungen litt, dass er ständig seine Unterhosen zerschäumte. Feuer spielte dabei auch eine Rolle. So wurde aus einem Arbeitstitel später die erste Nummer auf „Prinz Albert“, „Winnie“.

„Farben“. Inspiriert durch den wunderbaren Kinderbuchautor und Künstler Leo Lionni mit seinen Büchern „Das kleine Blau und das kleine Gelb“ sowie die Geschichte über den produktiven Müßiggänger „Frederick“. Arbeitstitel war „Langeweilo“ – der Arme musste vier Minuten lang den gleichen Griff spielen ...

Die Visa-Freiheit nehm’ ich mir und so ist der Räuber „Hotzenplotz“ nach getaner Arbeit an „Prinz Albert“ mit den Taschen voller Verlagsvorschüssen erst mal für ein halbes Jahr durch Neuseeland und Australien gereist.

Nur in die Vereinigten Staaten hat es mich nie gezogen und ein Urlaub auf Hawaii in jungen Jahren gilt nicht. Dabei lebt in Coconino County, Arizona, die bezaubernde „Krazy Kat“ mit Wachtmeister Kläff, dem fiesen Schurken Knurrer und Ziegelsteinhändler Kelly, der Ignatz Maus mit dem Ziegel versorgt, den Ignatz der guten Krazy am Ende einer Comicseite an den Hinterkopf wirft. Für „Krazy“ ein Liebesbeweis. Total durchgeknallter, surrealer Comic von George Herriman. Band 1 aus den Jahren 1935-36 hätte ich doppelt, falls Interesse ... aber billig wird das nicht!

„Falsche Kreuze“. Wüste Beschimpfung ostdeutscher Wahlberechtigter durch einen Besserhessi.

Bei „Schleichfahrt“ stellt sich mir lediglich die Frage, was aus den ungezählten McDonald’s-Sonnenbrillen geworden ist, die immer im Bandbus herumflogen. Und überhaupt: wann gibt es endlich mal wieder China-Wochen?

So endet der dritte Gesang.

 


DIE VIERTE SEITE

„Tupperparty“ (Januar 1996)

Die vielseitigste Platte (nur bis 1996, ist das ausdrücklich klar?!)

Ort: Ein mondäner Studiobungalow mit Fischteichen und Pool im Garten, Bochum.


Trau keinem unter 30. Erst danach wirst du mini, sexy und afri und pinkelst den „Klostein“! Nach dem seltsam anmutenden Punkerfoto auf der Plattenrückseite bin ich öfter gefragt worden: Chaostage 1945! Und die komischen Punker sind amerikanische Fallschirmjäger, aufgenommen bei Kriegsende in Hannover, wo denn sonst ...

Der heute wohl eher in Vergessenheit geratene Kollege und Brieffreund Ed Shred (STUPIDS, SINK, CHOCOLATE) meinte beim Hören des Hippie-Intros von „III“: „Jetzt ist es aus. Sie nehmen Drogen.“ Perkussionsinteressierten Blumenkindern sei noch verraten, dass die rhythmischen Geräusche durch uhrwerkartig präzises Gaffer-Tape-Ratschen erzeugt wurden. Vom schwarzen Althippie aus Mönchengladbach. Die verbreitete Behauptung, er hätte sich für die Aufnahmen den damals gepflegten Pumuckl-Bong seiner Bandkollegen ausgeliehen, gilt nicht wirklich als gesichert.

Ein weiterer Freund – angesehener und aus Funk und Fernsehen bekannter Internist aus Kiel, der einst bei den UNBEZAHLBAREN die Gitarre bediente – machte sich nach Erscheinen der „Tupperparty“ große Sorgen um meine Gemütslage. Besonders den Text von „Sunil“ befand er für krank und vergiftet. Ich habe ihn geheilt.

Da die kleine Flasche Himbeerschaumbad der Marke Body Shop nach 17 Jahren längstens geleert ist, musste ein angemessener Ersatz her – so empfehle ich heute Uschi und dem Rest der Welt Himbeershampoo der Marke Bübchen! Und so endet diese Geschichte von „Lurchi“ heute mit: „Und aus dem Bad schallt’s lange noch, Himbeershampoo lebe hoch!“

A doctor a day keeps the apple away, hab’ ich mir immer geraten und bin gut damit gefahren. Also, werte Leser: ab ins „Irrenhaus“. Wird jetzt auch langsam Zeit. An dieser Stelle bleibt mir nur noch die Gelegenheit, jungen Szenegängern den gut gemeinten Rat zu geben, das Tragen von Buttons im Genitalbereich zu unterlassen!

Und bevor der vierte Gesang endet, lassen wir unseren liebsten Imperator noch ein letztes Mal so herrlich die Lyra spielen, dass es mir zwei kleine Tränen aus den Augen lockt. Eine Träne für Petronius. Und eine für mich.