Wann wurdest du Punk?
In dieser Hinsicht war ich ein Spätzünder. Es war 1991/92, damals war ich bereits 18 und war vorher als Jugendlicher eigentlich relativ pflegeleicht gewesen.
Warum wurdest du Punk?
Ich hatte schon immer eine starke Aversion gegen Nazis, seit ich als Kind einmal eine Dokumentation über den Holocaust gesehen hatte, die mich ziemlich verstört zurückgelassen hat. Als dann Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen in den Medien auftauchten und deutlich wurde, was da gerade wieder aus der Kanalisation kriecht, packte mich die Wut. Da ich außerdem auf dem Dorf aufwuchs, befanden sich um mich herum auch noch jede Menge tumbe Deppen, die ihre Sympathie und ihr Verständnis für dieses Gesindel kaum verhehlten. Da wurde man zu alternativen Jugendkulturen förmlich hingetrieben, wenn man nicht so sein wollte. Und als ich dann ein Freiwilliges Soziales Jahr beim Bischöflichen Ordinariat Speyer machte, hatte ich ausgerechnet dort einen Zimmergenossen, der in Mainz beim Schwarzen Block aktiv war und SLIME hörte. Das war es dann ... es passierte alles genau zur richtigen Zeit.
Was bedeutet es für dich, Punk zu sein?
Mittlerweile definitiv etwas anderes als vor zwanzig Jahren, und das ist auch gut so. Bei Erscheinen dieser Ausgabe bin ich 42, und es wäre ein Armutszeugnis für mich, festzustellen, dass meine Entwicklung stagniert hat. Mittlerweile bedeutet es für mich in erster Linie, meinen eigenen Kopf zu haben und mich nicht kritiklos vereinnahmen zu lassen, egal von wem. Ich habe eine große Aversion gegen jede Art von Dogmen und versuche, alles zu hinterfragen, auch Leute und Inhalte „unserer“ Seite, was mir nicht immer Zustimmung einbringt. Ich ziehe mich mittlerweile an, wie ich mich wohlfühle – das darf auch gerne mal gut aussehen –, und höre teilweise Musik, die ich früher nicht einmal mit der Kneifzange angefasst hätte, weil ich mittlerweile weiß, dass man nicht notgedrungen aussehen muss wie die EXPLOITED 1982, um kein Spießer zu sein. Dazu gehört eine gewisse Verweigerungshaltung; da ich ja selbst künstlerisch tätig bin. Auch wenn ich davon nicht leben kann und einer geregelten Tätigkeit in der Altenpflege nachgehe, lehne ich es absolut ab, dass sich Künstler zu Werbezwecken für Großkonzerne einspannen lassen.
Worin liegen die Unterschiede zum Leben anderer Menschen?
In meinen Prioritäten. Ich brauche weder einen Flachbildfernseher noch ein Auto und würde schon gar nicht auf die Idee kommen, mich für so etwas zu verschulden. Ich bin sehr anspruchslos: Mein Besitz besteht in erster Linie aus Platten, Büchern und Filmen, da ich ständig Input brauche, der Rest ist mir weitgehend egal. Ansonsten sind mir nur noch meine Familie und sonstige Menschen wichtig, die ich gerne um mich habe ... weil ich sie mag, oder weil sie die Bereitschaft zeigen, mich zu ertragen, was auch nicht immer einfach ist.
Welche Auswirkungen hat Punk auf dein Leben/dein Denken/dein Handeln?
Mein Leben wäre komplett anders verlaufen. Ich war mit 15 oder 16 eher ein harmloser Langweiler, der keinen großen Freundeskreis hatte und auch nicht als sonderlich interessant galt. Ob ich das heute bin, weiß ich nicht; aber mein verändertes Umfeld hat in den letzten Jahrzehnten meine Lebensqualität doch soweit gesteigert, dass ich irgendwann in Frieden sterben kann, ohne das Gefühl haben zu müssen, eine Menge verpasst zu haben. Mein Denken und mein Handeln leiten sich aus der Frage weiter oben ab ... eine grundsätzlich kritische Herangehensweise an alles und eine möglichst konsequente Verweigerungshaltung Dingen gegenüber, die ich ablehne.
Hast du es je bereut, Punk in dein Leben zu lassen?
Nein!
Ist Punk für dich eine Art von Musik, oder steht die Ideologie im Vordergrund?
Hat Punk überhaupt eine klar zu definierende Ideologie? Ideologie bedingt Dogmen, und wie erwähnt funktioniert das bei mir nicht. „Punk“ ist für mich mittlerweile vorwiegend eine Attitüde, das Einstehen für Überzeugungen, die nicht unbedingt vom Mainstream geteilt werden ... Und so gesehen ist Steve Albini für mich genauso „Punk“ wie SICK OF IT ALL oder Ian MacKaye. Sogar Tom Waits ist durch seine konsequente Ablehnung der Kommerzialisierung seiner Musik in gewisser Weise „Punk“ und mit Sicherheit näher an Steve Albini als an irgendwelchen „alternativen“ Bands, die dann für die „Jägermeister Rock-Liga“ oder ähnlichen Scheiß auftreten. Wie viel „Punk“ ich bin? Das zu beurteilen, überlasse ich lieber Dritten.
© by - Ausgabe # und 10. Februar 2014
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