Es gibt sie immer wieder, diese Alben von bisher unbekannten Bands, bei denen man sich bereits nach wenigen Takten sicher ist, einen kleinen Schatz gehoben zu haben. Alben, bei denen man bereits nach einigen Sekunden laut mitsingen möchte und komischerweise auch gleich mitsingen kann. Alben mit neuen Melodien, die einem trotzdem vertraut vorkommen. Alben mit Songs, die einen nicht still sitzen, sondern auf Anhieb mitwippen, nicken und tanzen lassen. Alben, die ihrem Titel vollauf gerecht werden, weil sie mit ihrem bunten Mix aus energiereichem Pop Punk, Rock’n’Roll, Ska, Country und Folk in Windeseile jede Spur von Langeweile und schlechter Laune vertreiben und einem ein breites Grinsen ins Gesicht zaubern. „Boredom Fighters“ THE SENSITIVES ist so eine Platte. Martin, Anton und Paulina beantworteten unsere Fragen.
Wie und wann ging es los mit den THE SENSITIVES?
Martin: Das Kapitel THE SENSITIVES begann eigentlich, als ich einen neuen Song schrieb für meine damalige Band, in der auch mein Bruder Anton spielte. Der Sound war irgendwie ziemlich schräg und hätte zu der Band überhaupt nicht gepasst. Aber ich mochte das Lied so sehr, dass ich mir in den Kopf setzte, es irgendwann unbedingt live spielen zu wollen. Also nahmen wir mit Unterstützung von Paulina das Lied in unserem Proberaum auf. Ohne unser Wissen hatte ein Freund aus Deutschland unsere erste Show in Ulm aufgrund dieser einmaligen Proberaum-Session gebucht und den Song zwischenzeitlich auf einer Compilation veröffentlicht. Für den Auftritt hatten wir dann so viel neues Material geschrieben und geprobt, dass wir den „Ursprungssong“ schon wieder vergessen hatten. Das Publikum allerdings nicht ... Und als die Rufe immer lauter wurden, haben wir das Lied eben ungeübt und improvisiert ins Set genommen. Wir spielten einfach grottenschlecht, was den feiernden Punks aber nichts ausmachte, die uns beim Gesang lauthals unterstützten! Der Song heißt jetzt übrigens „Weird things happens at night“ und ist auf unserem neuen Album enthalten.
Wie würdet ihr euren Musikstil beschreiben? Vielleicht denkt ja jemand bei eurem Bandnamen fälschlicherweise an Emo-Punk ...
Martin: In unseren Augen ist die Musik ein perfekter Mix aus Ska, Rock’n’Roll und einer Prise Folk, basierend auf einem soliden Fundament namens Punkrock. Eben Musik, die den Alltag mit all seinen Problemen, der Arbeit und der Langeweile erträglicher macht.
Warum habt ihr euch für den Bandnamen THE SENSITIVES entschieden? Mich erinnert der eher an eine Kondom-Marke.
Martin: Vor ein paar Jahren gab es in Schweden diesen Achtziger-Schweinerock-Retrotrend. Eine Menge MÖTLEY CRÜE-Kopien hatten alle diese trashigen Posernamen, posierten mit Jack Daniel’s auf ihren Promofotos und hatten diese ignorant-peinliche „Cool guy“-Attitüde. 99% dieser Typen verbrachten mehr Zeit vor dem Spiegel als im Proberaum oder auf Tour. Für mich war das alles ein großer Haufen Scheiße und wir dachten, es wäre ganz nett, „nur“ eine hoffentlich gute Band zu gründen, ohne diese aufgesetzte Credibility. Wir wollen einfach nur das darstellen, was wir sind und worüber wir singen. Insofern ist der Name THE SENSITIVES eine Art Reaktion darauf, natürlich mit einer gehörigen Portion Selbstironie! Aber vielleicht denkst du das nächste Mal, wenn du ein Kondom überziehst, an uns und legst dabei „Weird things happens at night“ in den Player, haha.
Wie ist die Situation in Schweden in der Punkrock-Szene?
Paulina: Die schwedische Punk-Szene ist verdammt schwierig im Moment. Die Clubkultur liegt am Boden, weil die Leute wochentags überhaupt nicht mehr ihren Hintern hochkriegen, um ein Bier zu trinken zu gehen und sich dabei eine Band anzusehen. Die Kids warten auf das Wochenende, um sich einfach nur total volllaufen zu lassen. Dafür brauchen sie auch nicht unbedingt Konzerte und es ist offenbar wichtiger, sich ins Delirium zu saufen, als eine Band zu unterstützen. Schade, denn wir haben derzeit wirklich ein paar richtig geile Punkrock-Bands hier, zum Beispiel TWOPOINTEIGHT, THE BABOON SHOW, EN SVENSK TIGER, TYSTA MARI, VIETCONG PORNSURFERS oder THE LIPTONES.
Martin: Wenn wir in Europa auf Tour sind, fragen uns die Leute oft, ob wir diese und jene Band aus Schweden kennen. Meistens haben wir von denen echt noch nie gehört. Es scheint so, als ob die außerhalb von Schweden bekannter sind als bei uns. Nimm uns zum Beispiel, wir haben bisher viel mehr Shows in Deutschland als in Schweden gespielt, unser erster Gig war hier. Das ist verrückt, aber eigentlich liebe ich auch genau das, also aus Schweden rauszukommen und zu touren.
Eure erste Veröffentlichung „Poetry As Hollow As It Can Be“ habt ihr richtig D.I.Y. umgesetzt, sie war nur auf euren Konzerten oder über die Homepage erhältlich.
Anton: Ja, deshalb sind auf unserem neuen Album drei Songs vom Debüt als Bonus enthalten. Hoffentlich macht das uns unser erstes Album etwas bekannter.
Mir scheint, dass ihr das ganze Jahr über auf Tour seid und Konzerte spielt. Ohne Booking-Agentur oder andere Hilfe spielt ihr in ganz Europa für kleines Geld. Die meisten der Möchtegern-Rockstars würden ohne die Aussicht auf Kohle den Arsch nicht hochbekommen. Ich bewundere diese Begeisterung. Woher habt ihr die Kontakte und Gigs? Ist es manchmal frustrierend oder kümmert es euch nicht, wenn ihr nur vor ein paar Leuten spielt?
Martin: Für uns ist das Touren das absolut Wichtigste, dabei fühlen wir uns am wohlsten. Shows spielen, Nacht für Nacht neue Leute mit neuen Geschichten kennen lernen, neue Fans und neue Freunde gewinnen, das ist genau das, was wir am meisten lieben. Wir sind erst seit 18 Monaten eine Band und haben bereits in neun Ländern getourt, organisieren alles selbst und ich denke, es zeigt, wie sehr wir es mögen und wie hart wir dafür arbeiten. Ich kann es bei einigen Bands verstehen, dass es für sie, wenn sie zum Beispiel eine Familie zu Hause haben, nicht möglich ist, Shows für hundert Euro zu spielen, wenn man 99 Euro für Sprit ausgibt, und das Jahr für Jahr. Doch für eine Band wie uns, die sich zu Hause langweilt und davon träumt, neue Orte zu sehen und einfach nur Rock’n’Roll zu spielen, sehe ich keinen Grund, das nicht zu tun. Im Grunde verbringen wir unzählige Stunden im Internet auf der Suche nach Clubs und Veranstaltern, damit wir in der Lage sind, diese Touren zu machen. Diese Arbeit ist wirklich eine Belastung, vor allem bei unserer letzten Tour, die sechs Wochen lang war, mit vielen Ländern, in denen wir noch nie gespielt haben. Ich will gar nicht wissen, wie viele Stunden wir am Telefon versucht haben, den richtigen Kontakt zu bekommen und mit Leuten redeten, die gar kein Englisch sprechen. Das Schöne daran ist, es wird immer einfacher mit jeder Tour, weil nach fast jeder Show Leute zu uns kommen und uns ihre Hilfe anbieten, wenn wir wieder in der Stadt oder in der Nähe spielen. Jedes Mal, wenn wir in einer neuen Stadt spielen, ist es eine Chance, die wir nutzen. Egal, ob wir vor einem leeren Club auftreten. Wir wissen, wenn wir vor ein paar Leuten eine gute Show abliefern, dann redet man über uns und erzählt es weiter und so wird alles wachsen.
Was bedeutet Punk für euch in diesem Zusammenhang?
Paulina: Frank Turner hat mal gesagt: „Die einzige Sache, die Punkrock bedeutet, ist nicht herumzusitzen und zu warten, bis die Ampel grün wird.“ Punk ist, Dinge umzusetzen und deinen Träumen eine Chance zu geben und sich zur gleichen Zeit um Leute zu kümmern, die dies auch versuchen, und das so verantwortlich wie möglich.
Anton: Ich fühle mich einfach glücklicher, wenn ich Leute treffe, die gefährlich aussehen mit ihren Lederjacken, Stiefeln und verrückten Frisuren. Ich will jetzt keine Stereotypen, aber ich denke, dass sind die freundlichsten Menschen, die ich kennen gelernt habe. Es ist einfach, mit ihnen ins Gespräch zu kommen oder zusammen zu der selben Musik zu tanzen, auch wenn man sich gar nicht kennt.
Ihr habt die neuen Songs für euer erstes Album „Boredom Fighters“ in der Plan B Tonfabrik in Laupheim aufgenommen. Warum habt ihr ein Studio in Deutschland gewählt und nicht eins in Schweden?
Martin: Für eine der ersten Touren haben wir nicht genug Shows bekommen und dann dachten wir an ein Studio, das wir mal besucht hatten. Da wir den Inhaber kannten, fuhren wir dahin, um mit netten Leuten ein paar Biere zu trinken und abzuhängen. Wir erzählten von unserer Situation und fragten, ob wir ein paar Tage bei ihm im Studio verbringen könnten, und er war so cool und erlaubte es uns. So hingen wir drei Tage in dem Studio rum und nahmen unser erstes Album auf. Wir sind sehr glücklich darüber, denn wir hatten und haben kein Geld und konnten es uns nicht leisten, ein Album auf unsere Kosten aufzunehmen. So konnten wir es kostenlos während der Tour aufnehmen. Wir werden ihm für immer dankbar sein. Wir hatten eine wirklich gute Zeit dort, weil das Studio so cool ist: nur ein kleines Haus mit einer superentspannten Atmosphäre. Und das ist auch das einzige Studio, indem sich eine Bar im selben Raum mit dem Mischpult befindet. Mit Stefan, dem Eigentümer, kann man super arbeiten. Einfach ein toller Ort. Ich würde gerne wieder dort aufnehmen.
Ihr habt jetzt ein deutsches Label und einen europaweiten Vertrieb. Wie ich hörte, steckt eine sehr untypische Story dahinter. Das Label hat euch den Vertrag nach einer extremen Aftershowparty unterschreiben lassen.
Martin: Ja, auf der letzten Tour spielten wir in Wien als Opener der Sunny Bastards-Labeltour und es waren zwanzig Leute im Publikum, als wir um 19:30 Uhr auf die Bühne gegangen sind. Am Anfang waren wir ein wenig enttäuscht zu spielen, bevor die Leute überhaupt in den Club gekommen sind, aber wir machten das und gaben unser Bestes. Letztendlich war es eine super Show. Unter diesen zwanzig Leuten waren die Leute von Sunny Bastards und sie mochten, was wir machten. Nach der Show hatten wir einen netten Smalltalk an der Bar. Wir waren sehr glücklich über ihren Punkrock-Spirit und die Art, wie sie ihr Label begreifen. Sie schienen auch sehr beeindruckt von unserer Bühnenshow und dass wir alles D.I.Y. machen. Als wir von der Tour und dem Studiobesuch nach Hause kamen, kontaktierten wir sie und wir waren uns sehr schnell einig. Es ist wirklich cool mit Sunny Bastards, weil es wie eine Punkrock-Familie oder eine Gruppe von Freunden ist. Sie leisten großartige Arbeit und sind keine Arschlöcher, die Anzüge tragen. Das schätzen wir sehr. Die Erinnerung an die Aftershowparty ist ein wenig verschwommen, haha, aber es kam etwas wirklich Gutes dabei raus.
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