Ich hätte gerne den Hut von Ben Harper. Hier tragen alle Hut, aber der von Ben Harper ist der vollkommenste. Ein Wahnsinnshut. Solche Hüte gibt es nur in Amerika. Solche Konzerte gibt es auch nur in Amerika.
Ein wildes Potpourri an Stars und Musikern, Schlag auf Schlag präsentiert. Upper Class-Publikum und volle Beleuchtung auch im Saal. Doch zunächst zu Willie Nelson. Im Country-Bereich schon seit Ewigkeiten eine lebende Legende, reichen seine Spuren und Einflüsse weit über diesen Musikstil hinaus.
Willie war einer der führenden Köpfe der damaligen Outlaw-Bewegung. Country war ein verstaubter, alter Sack, fest in der Hand der Musik-Industrie Nashvilles, die damals wie heute Geld scheißt, und zwar im ganz großen Stil.
Was hierzulande kaum wahrgenommen wird: die großen Stars des American Country fahren Gelder ein, von denen die ganzen Popsternchen nur träumen können. Gegen dieses Establishment richteten sich seinerzeit die Outlaws.
Mit eher anstößigem Aussehen, den Hippies näher als den Cowboyhut tragenden Westenträgern, sorgten Leute wie Willie Nelson oder auch Kris Kristofferson für eine neue Strömung im damaligen Countrybusiness.
Einer Strömung, aus der schließlich der Alternative Country hervorging, der in den 80er Jahren Bands wie die MEKONS hervorbrachte, und auf die sich selbstverständlich auch Ryan Adams beruft.
Ebenso dürfen die Country-Ausflüge der SUPERSUCKERS durchaus in diesem Kontext gesehen werden. Den wichtigen Einfluss, den Willie Nelson auf diverse Punkrocker hatte, belegte bereits 1996 der Tribute-Sampler "Twisted Willie", auf dem neben den bereits erwähnten SUPERSUCKERS auch so illustre Namen wie Jello Biafra, STEEL POLE BATH TUB, REVEREND HORTON HEAT oder Kelley Deal gemeinsam mit Kris Kristofferson zu hören sind.
Leider gehören diese Friends nicht zu den im DVD-Titel erwähnten. Hier geht es dann schon etwas mehr in die Mainstream-Richtung, schließlich ist Nelson nach etlichen Jahren im Country-Business selbst ein Weltstar geworden, wenngleich auch immer noch ein Outlaw.
Dazu muss man sich den Kerl nur mal genau ansehen. Das Konzert wurde im Frühjahr 2004 im Wiltern Theatre in Los Angeles aufgezeichnet, ganz großer Hof, die Eintrittspreise möchte ich gar nicht wissen und Willie sieht aus wie jemand, der unter Garantie selbst nie im Leben an den Türstehern vorbei gekommen wäre.
Dabei will ich gar nicht mal von seinen Haaren reden, die jeden Metaller vor Neid erblassen lassen würden. Ein schlunziges, ausgewaschenes T-Shirt, ein schlabberiger, schwarzer Cowboyhut, Jeans und die wohl abgegriffenste Gitarre der Welt in den Händen.
Abgegriffen, was sag ich, dieses Instrument wirft schon Blasen und hat ein riesiges Loch an der Stelle, wo wahrscheinlich seit 40 Jahren immer wieder Willies Finger anstoßen. Diese Gitarre ist Geschichte und ich kenne nur eine andere mittlerweile herrenlose Gitarre, die ähnlich abgegriffen war und doch stets die Eine war, die mit auf die Bühne durfte.
(Wer mir sagen kann, von welcher Gitarre ich rede, kriegt den "Twisted Willie" Tribute-Sampler ...) Das Konzert fängt ohne viel Aufwand an, die Begleitband spielt auf, Willie betritt die Bühne und fängt direkt an zu singen, noch während er sich sein Instrument umhängt.
Wenn Willie Nelson singt, fühle ich mich wohl. Diese Stimme ist einfach hervorragend. Nebenbei hat er es wirklich drauf, stets eine Mischung aus natürlicher Coolness und angedeuteter Nuscheligkeit, welche aber eher daher kommt, dass es ihm nicht immer allzu wichtig ist, die Sätze zu Ende zu singen, oder immer zwangsweise in sein Mikrophon.
Von daher ist es an einigen Stellen auf der DVD bedauerlich, dass es sich um kein reines Nelson-Konzert handelt, sondern sich bei jedem neuen Song die Freunde die Klinke in die Hand geben.
Schmusig und daher langweilig wird es tatsächlich an fast allen Stellen, wenn es statt eines Freundes eine Freundin ist. Dann ist Ballade angesagt, dann geht es um Liebe, dann musste ich den schnellen Vorlauf zu Rate ziehen.
Shelby Lynne macht zwar eine gute Figur und flirtet mit Willie um die Wette, aber da sie direkt zwei Songs mit ihm spielt, ging es dann doch nicht mehr. Ganz anders, wenn die Kerle die Bühne betreten.
Klar sind auch hier Schlafmützen und Langeweiler dabei, allen voran die Nuschelnase Bob Dylan, der mittlerweile wie einer seiner schlechten Kopien zu singen pflegt, und auch Soul-Legende Al Green nervt nach kurzer Zeit.
Sonst eher zum Weglaufen geeignet, liefert Kid Rock sich jedoch im Duett mit Willie ein hervorragendes "Shotgun Willie" und darf deswegen seinen Song auf meinem TV-Gerät ausspielen. Die ganz große Freude kommt aber erst mit Toots Hibbert auf.
Der Toots, der Maytal, der Mr. Pressure Drop, den er dann auch zusammen mit einem anderen Freund spielt, nämlich Ben Harper. Toots darf zweimal und bietet zusammen mit Willie noch "Still is still moving to me" in einer klassischen Ska-Reggae-Version.
Ganz groß, herausragend, und schon den Kauf dieser DVD wert. Ben Harper spielt nicht nur zusammen mit Toots, sondern auch noch und selbstverständlich mit Willie, und zwar "Midnight rider", und gehört damit auch zu den ganz großen Augenblicken dieses Konzertes.
Diese sehr unterschiedliche Mischung an Freunden macht es auch, dass es sich hier beileibe nicht um ein Country-Konzert handelt. Eine ausgewogene und größtenteils erfreuliche Mischung wird dargeboten.
Aber natürlich gibt es auch Country, das soll und muss auch so sein. Wer dabei an piefigen Schnulzenkram und amerikanisches Pendant zu Volksmusik denkt, der sollte lieber weiter EXPLOITED hören, weil er wohl kaum Ahnung davon haben dürfte, zu welch grandiosen Songs zwei Leute wie Willie Nelson und Merle Haggard auf der Bühne fähig sind.
Das zusammen mit Toby Keith dargebotene "Pancho & Lefty" ist die Art von Country, die zumindest meine Anlage oft und gerne beschallt. Willie Nelson hat in seinem Leben so manchen Whiskey getrunken und war auch illegalen Substanzen lange Zeit nicht abgeneigt.
Einer, der es ihm gleich tat, wahrscheinlich nur noch die jeweils doppelte Menge zu sich nahm, ist Keith Richards und so verwundert es nicht, wenn er im Duett den Song "We had it all" singt und dabei so glaubwürdig wirkt, wie ein Mensch nur sein kann.
Man mag die ROLLING STONES für ihre Langlebigkeit und auch für vieles andere hassen, aber Richards auf der Bühne ist ganz großes Theater, für diesen Mann ist das Wort Rock'n'Roll maßgeschneidert.
Ein weiteres großes Highlight, und man fragt sich, warum dieser Mann eigentlich nur für sein Gitarrespiel berühmt ist und nicht für seinen Gesang. Zum großen Finale kommt dann auch noch Jerry Lee Lewis auf die Bühne, der glaube ich auch schon 167 ist, dafür aber noch den ganz Rüstigen macht.
Kid Rock darf noch mal mit ihm zusammen "Whole lot of shakin' goin' on" intonieren, Mann was 'ne Rampensau, und anschließend treffen sich noch mal alle zum großen Gospel-Ending. Als Bonus wartet die DVD mit knappen 15 Minuten Backstage-Material auf und diversen gemeinsamen Proben für den Auftritt.
Ein ganz besonderer Augenblick dürfte hierbei der ungeschminkte Bob Dylan sein. Zombibob. Die DVD hat eine Laufzeit von ca. 103 Minuten.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #58 Februar/März 2005 und Claus Wittwer