Autobiographische Comics können sehr oft Garanten für schlechte Zeichnungen und öde Geschichten sein, sind also mit Vorsicht zu genießen, vor allem, wenn es sich in einem solchen Umfang wie hier abspielt.
Die in Berlin lebende österreichische Zeichnerin Ulli Lust erzählt in HEUTE IST DER LETZTE TAG ... von ihrer wilden zweimonatigen Odyssee durch Italien, inklusive Begegnungen mit der Mafia und harten Drogen, die sich Ende 1984 zutrug, als die Autorin sich zusammen mit ihrer nymphomanischen Freundin Edith von Wien per Auto-Stopp in den Süden aufmachte und illegal die italienische Grenze überquerte.
Dass sich Lust zu dieser Zeit der Punkszene zugehörig fühlte, spielt eigentlich nur am Rande eine Rolle und spiegelt sich eher in ihrer allgemeinen Lebenseinstellung wider, also klassisches Aussteigertum und Aufbegehren gegen die spießige Gesellschaft und die sie einengenden Eltern.
Eine recht abenteuerliche Reise, vor allem für eine Frau, die in Italien mit einem völlig anderen Geschlechterrollen-Verständnis konfrontiert wird und hier vor allem allzeit bereites Lustobjekt ist, weshalb die Punkerin in Folge mit einigen Beinahe-Vergewaltigungen konfrontiert wird und generell das Erleben ihrer Sexualität als extrem traumatisch erfährt.
Und man wundert sich schon ein bisschen (als Mann), wieso sie manche Sachen überhaupt so gelassen über sich ergehen lässt. Insofern wiederholen sich einige der Erfahrungen, die Lust macht, in gewisser Weise immer wieder, vor allem was den extremen Machismo der Italiener angeht.
Wobei sie auf ihrer Reise auch jede Menge anderer Aussteiger kennen lernt, die nach einem gesellschaftlichen Gegenentwurf suchen, was HEUTE IST DER LETZTE TAG ... über die autobiografische Ebene hinaus auch zu einem sehr lebendigen zeitgeschichtlichen Dokument beziehungsweise einer Reportage werden lässt, was den Aufeinanderprall unterschiedlicher Kulturen und Lebensmodelle angeht.
Zeichnerisch hat die Grafik-Designerin für die Umsetzung einen bewusst naiven, etwas dilettantisch anmutenden Stil gewählt, der aber gut mit ihrer Geschichte über jugendlichen Leichtsinn und Selbstfindung korrespondiert und in einer sehr direkten Bildsprache resultiert, ohne dass dabei Hintergründe, also Landschaft und Architektur, weniger atmosphärisch wären.
Ein echtes Mammutwerk, in das Lust mehrere Jahre Arbeit gesteckt hat und HEUTE IST DER LETZTE TAG ... mit Abstand zu einem der besten deutschsprachigen autobiografischen Comics macht, der sich durchaus mit Craig Thompsons BLANKETS oder Marjane Satrapis PERSEPOLIS messen kann, was die erzählerische Tiefe angeht.
Der hohe Preis mag im ersten Moment abschreckend wirken, aber dafür bekommt man einen Comic geliefert, der schon fast die Dimension eines Buches besitzt und auch Menschen ansprechen dürfte, die nicht unbedingt ausgesprochene Fans dieses Mediums sind.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #89 April/Mai 2010 und Thomas Kerpen