U3000

Mit dem Tod von Christoph Schlingensief verlor die deutsche Kulturlandschaft 2010 einen der letzten wahren Rebellen, der sich zwar in einem Kunstumfeld bewegte, aber irgendwelche Kunstbegriffe ständig in Frage stellte und dem es dabei um existentielle menschliche Aspekte ging.

„Ein Aufklärer, ein Bußprediger und Mahner“, wie ihn der Spiegel in seinem Nachruf bezeichnete. Vor allem war Schlingensief ein Moralist, der mit unglaublicher Energie gesamtgesellschaftliche Themen in seiner Aktionskunst provokant sezierte und dabei immer er selbst blieb.

Man muss nicht alles gutheißen, was Schlingensief in diesem Zusammenhang fürs Kino, Fernsehen oder Theater produzierte, aber hierzulande gab es wohl kaum jemanden neben ihm, der dermaßen ambitioniert war, selbst wenn dabei nur höherer Blödsinn herauskam.

Bei Filmgalerie 451 wird schon seit geraumer Zeit Schlingensiefs Schaffen auf VHS und DVD aufgearbeitet. Dort erschien jetzt mit der achtteiligen, vom Musiksender MTV ausgestrahlten Sendung „U3000“ eines der absoluten Highlights in seinem Schaffen, das wie schon drei Jahre zuvor „Talk 2000“ die Grenzen des Mediums Fernsehen austesten wollte.

Drehort war die reguläre Berliner U-Bahn-Linie 7, wo Moderator Schlingensief bei jedem Halt von Waggon zu Waggon hetzte, scheinbar immer kurz vor dem totalen Nervenzusammenbruch. Dabei hatte er die „hässliche Fratze der Spaßgesellschaft“ im Visier und den Zynismus von Raab und Schmidt, dem echte Menschlichkeit entgegengesetzt werden sollte.

Die Grenze zwischen Inszenierung und Authentizität bei diesem „wahren Reality-TV“ verschwimmt zwar häufig, mindert aber nicht die Wirksamkeit von Schlingensiefs subversiver Fernsehkritik, bei der zahlreiche Prominente regelrecht verheizt werden und das MTV-Publikum hoffnungslos überfordert war.