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TSCHECHISCHE FILMKLASSIKER

Eine Feierstunde für Nostalgiker, die mit diesen DVD-Veröffentlichungen von Universum endlich Kindheitserinnerungen bezüglich ihrer frühsten Mediensozialisation auffrischen können. Denn die 70er und 80er waren die Hochzeit der Zusammenarbeit zwischen dem westdeutschen Fernsehen und der tschechischen Filmindustrie, genauer gesagt dem Filmstudio Barrandóv in Prag.

Was einem im Nachhinein nostalgisch verklärt als wunderbar fruchtbare Phase dieses Landes erscheint, war allerdings überschattet von dunklen politischen Wolken. Denn die Schöpfer und Filmschaffenden der Neuen Welle in den 60er Jahren in der Tschechoslowakei hatten nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 in der ersten Hälfte der 70er Jahre Drehverbot, sofern sie nicht gleich ganz emigrierten.

Kritik am kommunistischen Regime war nicht erwünscht und wurde wie überall im Ostblock unterdrückt. Filme wurden beschlagnahmt und durften nicht mehr vorgeführt werden, wie etwa DER LEICHENVERBRENNER von 1968, der inzwischen sogar in einigen Ländern auf DVD erhältlich ist.

Das Drehen von Kinderfilmen aber wurde auch ansonsten unbequemen Regisseuren ermöglicht, was sicherlich eine Erklärung für die Welle von Produktionen dieser Art in diesem Zeitraum ist. Leichte Unterhaltung war gefragt, ohne dass man den Serien Anspruchslosigkeit vorwerfen könnte, ganz im Gegensatz zum heutigen Kinderprogramm.

Prototypisch dafür dürfte die langlebige PAN TAU-Serie von Regisseur Jindrich Polák und Drehbuchautor Ota Hofman sein, die jetzt in einer 5-DVD-Box erschienen ist, mir allerdings noch nie so gut gefallen hat.

Die naiv gutherzige Figur mit der Melone war einfach zu sehr an den Bedürfnissen eines kindlichen Publikums orientiert. Wesentlich besser ist dagegen, was Polák und Hofman 1983 mit den 15 Folgen von DIE BESUCHER (NÁVSTEVNÍCI) zustande brachten.

Eine nach wie vor extrem witzige Science Fiction-Serie, in der die Welt des Jahres 2484, die befreit von Hunger, Krankheiten und Kriegen idyllisch ihr Dasein fristet, plötzlich durch einen Kometen bedroht wird.

Deshalb wird ein Team in die Vergangenheit geschickt, um eine verschollene Formel zur Verschiebung von Welten im Raum aufzuspüren, die von einem gewissen Adam Bernau stammt, der in der Zukunft als Genie kultisch verehrt wird.

Der ist im Jahr 1984 aber noch ein durchtriebener, nicht unintelligenter Bengel, der seine Umwelt in den Wahnsinn treibt. Die als Vermesser getarnten Menschen aus der Zukunft werden erwartungsgemäß natürlich vor einige Probleme gestellt, denn die Welt der Vergangenheit funktioniert doch etwas anders als erwartet.

In Folge entwickelt sich die Suche nach der Formel zu einer herrlich komischen Schnitzeljagd, bei der das Motto „Nur nicht auffallen“ von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Die Serie hat zwar leichte Anlaufschwierigkeiten, denn die Vorbereitungen in der Zukunft ziehen sich etwas in die Länge, aber wenn die Besucher erst mal im Jahre 1984 angekommen sind, entfaltet sich der zeitlose Charme von Poláks und Hofmans Geniestreich von neuem, bei der höchstens die Trickszenen etwas veraltet erscheinen.

Allerdings stammen diese immer noch sehr charmanten Stop-Motion-Animationen von keinem geringeren als Jan Svankmajer, dem großen tschechischen Surrealisten. Und wie das immer so ist mit wirklich guter Science Fiction, geht es selbstverständlich weniger um irgendwelche vermeintlichen Zukunftsperspektiven, die sowieso immer schnell überholt sind, sondern um konkrete Kritik an der damaligen Gesellschaft.

Insofern ist es fraglich, ob DIE BESUCHER jemals als reine Kinderserie funktioniert hat, dafür ist das Ganze eigentlich zu vielschichtig. In DIE BESUCHER gab es auch ein Wiedersehen mit der attraktiven Dagmar Patrasová, die 1979 in DIE MÄRCHENBRAUT (ARABELA) die zickige Schwester von Prinzessin Arabela spielen durfte.

Aber auch Vladimír Mensík spielte in DIE BESUCHER in einer Nebenrolle als Polizist mit, seit den 50ern ein omnipräsenter Darsteller in tschechischen Filmproduktionen. Der verkörpert in DIE MÄRCHENBRAUT einen gewissen Herr Maier, der zufällig ein Glöckchen findet, mit dem er den Zauberer Rumburak aus dem Märchenreich herbeirufen kann.

Als dieser ihm das Schießen beibringen soll, tötet er im Märchenreich dummerweise den Wolf, was zur Folge hat, dass nun Rotkäppchen den Jäger und die Großmutter fressen muss. Rumburak wird dafür bestraft und nimmt anschließend Rache an Herrn Maier und der Königsfamilie des Märchenreichs.

Denn Herr Maier arbeitet zufälligerweise fürs Fernsehen und liest in einer Sendung den Kindern Märchen vor, was von Rumburak sabotiert wird und zu extremen Verwicklungen zwischen der realen Welt und der der Märchen führt.

Václav Vorlícek und Miloš Macourek gelang damit ein wundervoller Serienklassiker (1993 entstand mit dem ebenfalls jetzt auf DVD erschienenen DIE RÜCKKEHR DER MÄRCHENBRAUT verspätet noch eine Fortsetzung, teilweise mit den gleichen Darstellern, aber insgesamt nur ein schwacher Abklatsch), der humorvoll und intelligent die überlieferten Märchengeschichten auf den Kopf stellt.

Parodie und liebevolle Hommage zugleich, wobei der Großteil des Humors natürlich dem Umstand entspringt, wie die Hauptpersonen mit den Vorgaben der jeweils völlig anders strukturierten Welten klarkommen.

Der arme Herr Maier tut einem dabei besonders leid, da er Mühe hat, bei klarem Verstand zu bleiben. Ähnlich ergeht es Mensík auch in seiner Rolle als Hausmeister Herr Trenkel in DER FLIEGENDE FERDINAND (LÉTAJÍCÍ CESTMÍR), an der ebenfalls Vorlícek und Macourek als Regisseur und Autor beteiligt waren.

Hauptfigur ist allerdings dessen Sohn Ferdinand, der eines Morgens von einem Meteoriten verschluckt wird, der ihn auf den Planeten der Blumen befördert, wo er zwei Blumen erhält: riecht er an der einen, kann er fliegen, riecht er an der anderen, wird er vorübergehend erwachsen und sieht aus wie sein Vater.

Als auch Ferdinands Lehrer Philipp Janda von dem Meteoriten verschluckt wird und weitere Blumen mitbringt, die Krankheiten heilen, die Intelligenz steigern oder die Körperkraft erhöhen, beginnen erst die eigentlichen Verwicklungen, als diese vom Friseur Blecher gestohlen werden, der dadurch zu einer Art Wunderheiler der Stadt wird.

DER FLIEGENDE FERDINAND kann man ebenfalls getrost als Klassiker bezeichnen, der ähnlich subtil das Aufeinanderprallen zwischen realer Welt und phantastischer Ereignisse zeigt, die zu einem heillosen Chaos führen, das natürlich ein gutes Ende findet.

Und auch DER FLIEGENDE FERDINAND kann immer noch begeistern, denn die brillanten Einfälle der Macher sind nach wie vor höchst beeindruckend und funktionieren auch 25 Jahre später noch. Ebenfalls auf DVD erschienen sind LUZIE, DER SCHRECKEN DER STRASSE und DIE TINTENFISCHE AUS DEM ZWEITEN STOCK, die ich mit ihren komischen Knetfiguren aber noch nie so ansprechend fand.

Eine schöne Sache, allerdings darf man sich von der technischen Seite keine Wunder erwarten, da alle Serien offenbar von alten Sendebändern gezogen sind, was qualitativ zu einem sehr durchwachsenen Ergebnis führt, mal durchaus zufriedenstellend, mal voller Schmutz und Defekten, da muss man schon mal ein Auge zudrücken.

Und Originalton und irgendwelche Extras sucht man natürlich auch vergeblich. Interessanterweise drehen Vorlícek und Macourek offenbar gerade an einem Sequel zu ihrem anderen Klassiker DAS MÄDCHEN AUF DEM BESENSTIEL aus den 70ern, mal sehen, was das gibt.