Foto

NO TREND

Too Many Humans / Teen Love

Die Sieger schreiben die Geschichte, das war schon immer so. Und in gewisser Weise trifft das auch auf die Musikgeschichte von Washington, D.C. zu, auf die Geschichte von Punk und Hardcore in der US-Hauptstadt. Es ist sicher nicht zu simpel und generalisiert, wenn man feststellt, dass es das Narrativ von Dischord und den Dischord-Bands ist, das unsere Vorstellung von der dortigen Szene in den frühen Achtzigern prägt. Natürlich, Steven Blush hat in „American Hardcore“ seine Sichtweise verewigt, hat als kurzzeitiger Manager von NO TREND diesen Platz eingeräumt, aber in der distanzierte(re)n Betrachtung sind es eben andere Bandnamen, die in der allgemeinen Wahrnehmung hängengeblieben sind, nicht der von NO TREND, die zudem aus dem unhippen Vorort Ashton in Maryland kamen. Das kommt immer wieder im LP-Cover-großen Booklet zum Ausdruck, in all den Interviewantworten und Zitaten. „No Trend, No Scene, No Movement“-Sticker klebten die NO TREND-Jungs angeblich auf die Cola-Automaten, an denen die DC-Straight Edger ihre Zuckerplörre zogen – man ahnt die Konfliktlinie. Und hört man mit fast vierzig Jahren Distanz die Musik von NO TREND, diese hypernervösen, schrammeligen, brutalen Noise-Nummern, die nicht so kurzgeschoren daherkommen wie die Klassiker der SxE-Combos, sondern eher an FLIPPER, PiL, SCRATCH ACID, SONIC YOUTH oder BUTTHOLE SURFERS erinnern, ahnt man, dass es zwar durchaus Shows mit den „klassischen“ D.C.-Bands gab, aber schon von der ganzen konfrontativen Provo-Nummer von NO TREND her massive konzeptionelle Unterschiede. John Stabb von GOVERNMENT ISSUE wird hier zitiert mit dem Satz: „We really didn’t know what to think of them. Were they against us or not?“ Das alles zeigt sich auch an der fast sträflichen Missachtung für das musikalische Erbe der von 1982 bis 1988 aktiven Band um Sänger Jeff Mentges, der die einzige personelle Konstante darstellte. Auch der Hinweis im Booklet zum Zustandekommen des Rereleases – es gab 1995 mal die CD „The Early Months“ auf Teenbeat – ist erhellend: Mentges zeigte kein Interesse an dem Projekt, ebenso Co-Bandgründer Bob Strasser, Frank Price ist tot. Auch hier wieder ein Gegensatz zum sonstigen, nun, Suhlen in der Grandesse der eigenen Jugend. Passt zu der hier überall mitschwingenden misanthropischen Attitüde von NO TREND, deren grafischer und textlicher Maximalprovokation, dem ganz eigenen Verständnis von Spaß, wie man es auch alten Fanzine-Interviewzitaten entnehmen kann. Es ist absolut lobenswert, dass Drag City dieses Rereleaseprojekt gestemmt hat, das grundsätzlich die von der Band selbst veröffentlichte erste LP „Too Many Humans“ und die EP „Teen Love“ (beide von 1983) enthält. Es folgten nach der Auflösung der ersten Bandformation 1984 noch zwei Alben der „neuen“ NO TREND, wo sich Mentges aber stilistisch gewandelt zeigte. Ich empfinde die Direktheit des chaotischen NO TREND-Sounds, gepaart mit Mentges’ manischem Geschrei, als enorm intensiv, kann nur zur (Wieder-)Entdeckung dieser Perle des US-Punkrock raten. Der Preis der Box mit um die 100 Euro ist hoch, aber die liebevolle Aufbereitung und Ausstattung ist es wert. Reproduktionen der Band-Fanzines liegen bei, des Bewerbungsformulars für neue Mitglieder (haha), es gibt zwei 12“s, eine 7“, und zwei CDs (mit allen Songs, Live-Tracks inklusive) und eben das dicke Booklet. Spannender als noch eine FUGAZI-Live-Aufnahme ...