Vor drei Jahren erschien Etienne Chatiliez’ DAS LEBEN IST EIN LANGER, RUHIGER FLUSS, das Regiedebüt des ehemaligen Werbefilmers von 1987, erstmalig hierzulande auf DVD, eine herrlich anarchische Komödie, jetzt folgt endlich auch sein zweiter Film TANTE DANIELE, ebenfalls äußerst schwarzhumorig, und das nicht gerade schmeichelhafte Porträt einer älteren Dame.
Denn besagte Tante Daniele, die nach dem Tod ihrer Haushälterin, an dem sie nicht ganz unschuldig ist, bei der in Paris lebenden Familie ihres Neffen unterkommt, entwickelt eine regelrecht boshafte Energie, wenn es darum geht, ihre Umwelt in den Wahnsinn zu treiben.
Tante Daniele scheint einen ausgeprägten Hass auf die gesamte Menschheit zu haben, was sie diese auch deutlich spüren lässt, und nur ihrem Dobermann „General“ und dem längst verstorbenen Gatten bringt sie noch etwas wie echte Empathie entgegen.
Ansonsten scheint die gar nicht nette Tante (großartig gespielt von der inzwischen 92-jährigen Tsilla Chelton) vor allem darum bemüht zu sein, ihre Mitmenschen auf hinterlistige Weise zu manipulieren und ihre Schuldgefühle auszunutzen.
Bis die Familie für sie eine Aufpasserin anheuert, um endlich mal völlig ungestört in den Urlaub fahren zu können, und in der die greise Tyrannin einen ebenbürtigen Gegner findet. Wer es eventuell politisch unkorrekt und respektlos findet, ältere Menschen auf diese Weise zu porträtieren, der darf dabei nicht vergessen, das Bosheit nun mal zum menschlichen Ausdrucksspektrum gehört, und Tante Daniele ist in dieser Hinsicht eine Meisterin ihres Faches.
Und letztendlich besitzt dieses Verhalten auch eine recht traurige Komponente, scheint es doch die einzige Möglichkeit für die alte Dame zu sein, ihrer eigenen Einsamkeit zu entkommen. So ganz ohne Happy End kommt auch Chatiliez dabei nicht aus.
Doch das sieht auf jeden Fall anders aus, als vielleicht erwartet, und entspringt nicht dem krampfhaften Bemühen, TANTE DANIELE noch eine gewisse Wohlfühl-Komponente zu geben. Eine nahezu perfekte Komödie voll tiefschwarzen Humors und ohne peinliche Sentimentalitäten, was nicht heißt, dass man nicht Sympathie für die Protagonisten empfinden könnte, und die in dieser Form wohl nur in Europa entstehen konnte.
Leider konnte Chatiliez mit seinen danach entstandenen Filmen nicht mehr an die Klasse seines kleinen Meisterwerks TANTE DANIELE anknüpfen, und so schaffte eigentlich nur sein 2001er Film TANGUY hierzulande den Sprung ins DVD-Zeitalter, der aber mehr in die Kategorie „ganz nett“ fällt.
Neben der französischen, deutsch untertitelten Originaltonspur enthält die DVD von TANTE DANIELE auch noch 45 Minuten Interviews mit den Beteiligten und sei hiermit wärmstens empfohlen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #92 Oktober/November 2010 und Thomas Kerpen