Es geschehen doch noch Zeichen und Wunder! Nachdem EuroVideo bereits 2002 eine um drei bis vier Minuten geschnittene DVD von Sam Peckinpahs Gewalteskalations-Klassiker, sein erster Nicht-Western, herausgebracht hatte, wurde der Film der FSK neu vorgelegt und ebenso der BPjS, die ihn von der Indizierungsliste strich.
Eine weise Entscheidung, denn auch wenn STRAW DOGS immer noch ein finsterer, zutiefst pessimistischer Film sein mag, weder Indizierung der alten 18er-Version noch die Schnitte der bisherigen FSK 16-Variante stehen im Verhältnis zum tatsächlich Gezeigten.
Kontrovers ist Peckinpahs Film immer noch, der es ja nie leicht mit seinen Arbeiten hatte, denn auch von PAT GARRETT AND BILLY THE KID, THE WILD BUNCH und MAJOR DUNDEE waren lange Zeit unterschiedliche Fassungen im Umlauf.
Und STRAW DOGS stand in England sogar von 1984 bis 2002 auf der Liste verbotener Filme, während die US-Version um einige Minuten geschnitten war – in Deutschland war zumindest die alte Videokassette aus den 80ern immer ungeschnitten gewesen.
Das Hauptproblem von STRAW DOGS beginnt sozusagen bereits in einer der ersten Szenen mit den Nippeln von Susan George, die büstenhalterlos frech unter ihrem Pullover auf und ab wippen, besser gesagt die generell provokante Inszenierung des freizügigen Umgangs mit ihrer Sexualiät – die sexuelle Revolution der 60er und 70er, die durch sie über ein kleines, zückgebliebenes englisches Dorf hereinbricht.
Sie ist das Objekt männlichen Begehrens in STRAW DOGS und sicher eine der umstrittensten Frauenfiguren in den Arbeiten Peckinpahs, denn ihre Vergewaltigung in der Mitte der Geschichte, sozusagen die Schlüsselszene, wo die Grenze zwischen Missbrauch und tatsächlicher lustvoller Erfahrung verschwimmt, wird zum Katalysator der finalen Gewalteskalation und der Verwandlung des biederen, feigen Kopfmenschen David Sumner in eine skrupellose Killermaschine – und über all dem hängt natürlich auch der Schatten von Vietnam.
Diese Vergewaltigung kommt in der Romanvorlage von Gordon Williams übrigens nicht vor, die Peckinpah generell stark abänderte. Feministinnen werden aufgrund dieser Szene sicher auch heutzutage noch auf die Barrikaden gehen und Peckinpah als frauenfeindliches Arschloch bezeichnen, was aber nichts daran ändert, dass er die Folgen dieses Traumas im Anschluss dennoch anschaulich vermitteln kann.
Dadurch ist STRAW DOGS bis heute eine kraftvolle, deprimierende Studie über die Brüchigkeit der uns umgebenen Gesellschaft geblieben. Nicht zuletzt dank der unglaublichen darstellerischen Leistung von Dustin Hoffman, dessen archaischer, brutaler Überlebenskampf gegen den mörderischen englischen Dorfmob stellvertretend für das Scheitern jeglicher zivilisatorischer Bemühungen steht – das macht STRAW DOGS zu einem Geistesverwandten von DELIVERANCE, der ein Jahr später entstand.
Zusammen mit Hoffman wird der Zuschauer letztendlich mit der Frage alleine gelassen, ob es überhaupt eine Legitimation für das Töten eines anderen Menschen gibt und sei es nur aus Notwehr.
Diese intellektuelle Verlorenheit bringt Peckinpah durch den letzten Dialog in fast poetischer Form auf den Punkt, als Sumner auf den Satz des Kinderschänders Henry Niles – „I don’t know my way home“ –, wegen dem ihm der Mob letztendlich das Haus eingerannt hatte, antwortet: „That’s okay.
I don˚t either.“ Für Peckinpah war Sumner sogar der eigentliche Bösewicht des Films, der diese Gewalteskalation bewusst provoziert und dabei sein wahres, unterdrücktes Ich zeigt. So oder so dürfte dieser Filmklassiker niemanden unbeeindruckt lassen, diskussionswürdig ist immer noch vieles an ihm.
Die DVD von EuroVideo besitzt jede Menge interessantes Bonusmaterial über STRAW DOGS, enthält aber leider nicht MAN OF IRON, die ultimative, auf der amerikanischen Criterion-Disc befindliche Doku über Peckinpah.
Ansonsten kann man hier wirklich bedenkenlos zugreifen, eine bessere deutschsprachige Veröffentlichung des Films wird es in nächster Zeit wohl kaum geben.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #73 August/September 2007 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #73 August/September 2007 und Thomas Kerpen