Wer Laurie Anderson bisher vor allem als Witwe von Lou Reed wahrgenommen hat, der hat möglicherweise in den letzten vierzig Jahren etwas verpasst. Denn Anderson ist bereits seit Mitte der Siebziger eine der renommiertesten Musikerinnen und Künstlerinnen im Bereich Avantgarde und Elektronik.
Verrückterweise konnte man mit solch eher sperriger Musik in dieser Zeit sogar noch bei einem Major wie Warner unterkommen und sogar einen Hit landen, wie es Anderson 1981 mit der Single „O Superman“ gelang.
Auch mit „Language is a virus“ mit seinem Grace Jones-Vibe war Anderson konventioneller Popmusik 1986 erstaunlich nahe gekommen. Heutzutage undenkbar, wobei sich Anderson auch nicht wirklich darum bemüht, dem Zeitgeist zu genügen oder irgendwelche kommerziellen Kompromisse einzugehen.
Und so ist auch „Songs From The Bardo“ ein Album, auf das man sich wirklich einlassen muss, um seinen hohen künstlerischen Anspruch und ästhetischen Reiz vollständig zu erfassen. Denn während Anderson in Spoken-Word-Manier Teile aus dem „Bardo Thödröl“, dem Tibetischen Totenbuch, rezitiert (Violine spielt sie allerdings auch), betten der tibetanische Musiker Tenzin Choegyal und Jesse Paris Smith, die Tochter von Patti Smith und Fred Smith, das Ganze in einen experimentellen, meditativen Neo-Klassik-Ambient-Weltmusik-Sound, der die rituelle, beschwörende und ergreifende Qualität des Bardo Thödröl sehr schön unterstreicht, eine Art Wegweiser für Verstorbene, die mit Hilfe der vorgelesenen Texte das Licht der Erlösung erkennen sollen.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #147 Dezember/Januar 2019 und Thomas Kerpen