Was wohl bei jedem Germanistik-Studierenden als Erstes im Bücherregal gelandet ist, ist die Nibelungensage, die so ungefähr 1.700 Jahre auf dem Buckel hat. Kann man aus einer so alten Vorlage eine moderne Erzählung machen? Gerade wenn es schon von Wagner eine Interpretation gibt, die Jahr um Jahr Massen nach Bayreuth zieht? Der vorliegende Band beinhaltet alle bisher erschienenen und fast vollständig vergriffenen Teile der „Siegfried“-Comic-Trilogie von Alex Alice als abgeschlossene Gesamtausgabe und ist ein fetter, schwerer Schinken. Nichts, was man mal in der Bahn oder auf dem Sofa gut lesen kann. Dafür wird einem aber auch einiges geboten. Zum einen bekommt die Geschichte einen modernen Fantasy-Anstrich und liest sich so frisch, wie es sich manch ein Erstsemester wünschen würde. In opulenten Bildern, die manchmal große Doppelseiten ausfüllen, und mit spannenden Charakteren erhält diese Neuerzählung einen modernen Touch. So bekommen wir einen ganz eigenen Blickwinkel auf die Geschichte Siegfrieds, den Drachentöter, sein ambivalentes Verhältnis zu seinem Adoptivvater und seine Heldenreise. Von Vorteil ist wohl, dass sich Alice hier durchaus erlauben kann, eine komplett freie, neue Geschichte zu erzählen, da ja auch die Originalquellen der Nibelungensage eher rar gesät sind. Und so erschafft der Autor hier auf über 200 Seiten seine eigene, epische Geschichte, die sich gleichsam an der nordischen Mythologie und der Nibelungensage orientiert. So sind hier auch Odin und die Walküren nicht ohne Bedeutung. Wer also noch ein wenig Platz im Regal für einen großen, schweren Band hat und sich eine wunderschöne Neuinterpretation neben das Reclam-Heft aus der Uni stellen will, ist hier genau richtig.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #154 Februar/März 2021 und Dennis Müller