Goth-Musik hat den Ruf, tendenziell eher unpolitisch zu sein. Durch das fast 500 Seiten starke Buch von Cathi Unsworth wird sich das graduell ändern. Die zehn Jahre zwischen 1979 und 1989 werden aufgerollt: eine Ära, in der nicht nur Siouxsie, THE CURE, BAUHAUS und verwandte Genres mit Künstlern wie THROBBING GRISTLE, JOY DIVISION und Nick Cave Geschichte schrieben, sondern auch Betonfrisur Margaret Thatcher. Gemeinsam mit dem (Ex-)Schauspieler Ronald Reagan war sie hauptverantwortlich für die Einführung eiskalter neoliberaler Politik in der westlichen Welt. Sie wird dem Buch als Gegenpol zu Siouxsie beschrieben, die fast gleichzeitig auf der Bildfläche erschien. Thatcher wurde von britischen Musikern fast durchgehend abgelehnt, von Gary Numan und den Pop-Imitatorinnen SPICE GIRLS einmal abgesehen. Die Autorin selbst wuchs auf einer Farm in Norfolk auf. die Nachbarn dreißig Minuten mit dem Rad entfernt. Freitagabends lief „Top of the Pops“, in jenen Jahren Pflicht in UK, egal welches Musikgenre das liebste war. In den News davor erfuhr sie schlimme Dinge: Hungerstreiks, Nazi-Aufmärsche, Terroranschläge, Sid Vicious tot. Sie lernte, aktuelle Musik in Zusammenhang mit politischen Ereignissen zu sehen, und dass diese fast immer soziokulturell gelesen/gehört werden kann. Das Buch ist genau in jenen Momenten besonders stark, in denen Musik und neue Düsterkeit in Relation zu den politischen Ereignissen gesetzt werden. Es gibt etliche Werke über die britische Musikszene insbesondere in jener Zeit, „Season of the Witch“ setzt neue Akzente, beschert einen neuen Blickwinkel und wartet mit Überraschungen auf, die auch für Fans und Kenner dieser Ära interessant sein dürften.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #174 Juni/Juli 2024 und Nico Kerpen