Wie sehr Deutschland bis 1989 geteilt war, erkenne ich immer wieder an meiner musikalischen Sozialisation: In BRD und DDR war die Sprache dieselbe, doch kulturell verband mich mehr mit Musik aus den USA und England. Punk aus der DDR? Hörte ich vor der Wende nicht, wie auch? Anekdotisch wusste man in unserer westdeutschen Kleinstadt zwar, dass es da auch solche wie uns gab, aber wer nicht als Band oder aus explizitem Interesse danach suchte oder bohrte nach dem sporadischen Auftauchen einer „Ostband“ auf einem Westlabel (siehe „DDR von unten“ mit SAU-KERLE und ZWITSCHER-MASCHINE 1983 auf AGR), der wusste mehr über Punk in Texas als in Sachsen. Und später, nach 1990? Ich bekenne, das Interesse hielt sich weiterhin in Grenzen, die wichtigen Bands der Punk-Szene Ost prä 1989 holten mich nie ab, mangels Bezug zu meinem Leben, und musikalisch eben auch nicht. Man mag das ignorant nennen, es zeigt für mich aber einfach nur, wie sehr es eines persönlichen Bezugs zu Musik bedarf. Journalistisch und politisch hat mich das Thema durchaus interessiert, aber bei „Veranlagungsjournalismus“, der das Schreiben über Musik nun mal ist, ist und war der Atem hier auch eher kurz. Und so stehe ich nun dieser LP gegenüber, die der Ausdruck des Bemühens ist, sich etwas anzueignen, das einem vor vielen Jahren entglitten ist und dann auch noch in Vergessenheit zu geraten drohte. Wolfgang Grossmann war einst, Anfang der Achtziger „der Schlagzeuger von ZWITSCHERMASCHINE“ und somit an jener AGR-Westveröffentlichung beteiligt, bei der aber durch die Auswahl des Songmaterials ein relevanter Teil der Lieder durchs Raster fiel und in Folge dessen in Vergessenheit geriet. Enthalten waren da nur Texte von Sänger und Stasi-Spitzel Sascha Anderson, die von Michael Rom wurden ignoriert. Rom wurde 1991, also kurz nach der Wende, als Zufallsopfer eines Raubüberfalls in Berlin getötet, erst 2020/21 holte ihn Wolfgang Grossmann mittels einer Buchveröffentlichung zurück in die Aufmerksamkeit der Kunstwelt, und es entstand die Idee, mit alten Freund:innen die Musik und Texte mit neuem Leben zu versehen. Dass das nicht in Form des Fakens des Sounds einer DDR-Punkband von Anfang der Achtziger geschehen konnte, war gesetzt, und so wirken die acht Songs dieses Albums auch jenseits ihres Kontextes für sich alleine: intensive, düstere (ja!) Post-Punk-Musik, der Peter Hein bei zwei Songs seine Stimme leiht und sie damit auf spannende Weise neu kontextualisiert – FEHLFARBEN meets ZWITSCHERMASCHINE. SWANS kommen mir hier in den Sinn, Lydia Lunch, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN ... aber das sind nur meine Gedanken. So seltsam das klingt: Funktioniert auch losgelöst vom historischen Kontext, und das ist gut so.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #160 Februar/März 2022 und Joachim Hiller