In den Anfangstagen meiner Filmrubrik hatte mich der New Yorker Underground-Filmemacher Richard Kern häufiger mal beschäftigt, denn in seinen ab 1983 entstandenen provokanten, grobkörnigen Kurzfilmen tauchten immer wieder Szenepersönlichkeiten wie Lydia Lunch, Kembra Pfahler oder Henry Rollins auf, dazu verwendete er Musik von THE DREAM SYNDICATE, SONIC YOUTH, COP SHOOT COP, FOETUS und BUTTHOLE SURFERS.
Diese Szeneaffinität führte später dann auch zu richtigen Musikvideos für UNSANE, MARILYN MANSON, THE BREEDERS und COP SHOOT COP. Neben Kern tummelten sich dort auch andere schräge Filmemacher wie Nick Zedd, und so gab es mit "Cinema Of Transgression" bald einen Überbegriff für diese Szene.
"Transgression" heißt ja bekanntlich "Übertretung" und das war auch das bestimmende Element dieser mit Sex und Gewalt angereicherten Experimentalfilme, die selbst in Zeiten von "Jackass" noch ihre Wirkung besitzen.
Wie bei fast jeder Form von Underground-Kultur kommt so circa nach 20 Jahren der Punkt, wo der künstlerische Anspruch solcher Strömungen auch in Randbereichen des Mainstreams akzeptiert wird, und so ist Kern inzwischen ein anerkannter Erotikfotograf, dessen Bücher etwa im Taschen-Verlag aufgelegt werden.
Jetzt kann sich auch die hippe Kunstszene an Kerns immer noch provokanter Ästhetik ergötzen, aber von "Transgression" ist da nicht mehr allzu viel zu spüren, ihren Reiz besitzen seine Fotos aber durchaus.
Quasi ein Nebenprodukt seiner Arbeit als Fotograf ist "Extra Action (And Extra Hardcore)", denn während seiner Sessions mit diversen Models für sein 2007er Buch "Action" hat Kern auch die Videokamera mitlaufen lassen und die Mädchen in Aktion gefilmt.
Porno ist das nicht, aber durchaus pornografisch, denn Kern produziert hier keine biederen Playboy-Filmchen, sondern da werden recht offenherzig die Körperöffnungen der Damen mit Fingern und Dildos penetriert.
Und zwar 60 Minuten lang, was dann auf Dauer vielleicht doch etwas langweilig wäre, aber die Musik von SONIC YOUTHs Thurston Moore, bei der es sich weniger um fertige Songs als sich wiederholende Loops handelt, erzeugt dann doch eine gewisse Spannung.
Ein filmisches Meisterwerk ist das sicher nicht, die Kamera wackelt schon recht ordentlich, und trotz einer thematischen Unterteilung der Szenen wirkt alles relativ zusammengewürfelt und unangenehm dilettantisch - halt ein überlanges Musikvideo mit nackten Frauen.
Zugute halten muss man Kern aber, dass er durchaus ein Auge für natürliche, unverbrauchte Models hat, an denen noch alles echt zu sein scheint und die auch nicht mit unästhetischen Piercings und Tätowierungen übersät sind, die er in Hinterhöfen, Badezimmern und ganz normalen Wohnstuben ablichtete.
Fans seiner alten Filme wird das höchstwahrscheinlich enttäuschen, denn "Extra Action (And Extra Hardcore)" besteht letztendlich nur aus bewegten Standbildern seiner Fotobände, aber dafür gibt es als Bonus noch die alten Kern-Filme "The King Of Sex", "Pierce", "Scooter And Jinx", "Catholic", "Nazi" und "Goodbye 42nd Street", die bisher noch nicht auf DVD erhältlich waren, was die Sache dann doch wieder interessant macht.
Zwar ein US-Release, aber codefree, also auf jedem Player problemlos abspielbar. (6)
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #79 August/September 2008 und Thomas Kerpen