Im Jahre 30 nach seiner offiziellen Geburt ist Punk enorm reflektiert. Das sieht man seit einer ganzen Weile schon an der wachsenden Anzahl von (auto-)biographischen Büchern, und nun auch an diversen Filmen zum Thema, etwa "Punk:Attitude" von Don Letts, einer neunzigminütigen TV-Produktion aus dem Jahre 2005, die jetzt nach einer UK-Version mit reichlich Bonusmaterial als Doppel-DVD und deutschen Untertiteln erscheint.
Don Letts ist dabei ja kein Unbekannter: Als Punk begann, war er DJ im Londoner Roxy, und schon 1978 porträtierte er die Szene in "The Punk Rock Movie", war dann später mit Mick Jones von THE CLASH Gründungsmitglied von BIG AUDIO DYNAMITE und ist seit einigen Jahren ein gefragter Musikdoku-Filmemacher - THE CLASH, THE JAM, George Clinton und FRANZ FERDINAND gehören gleichermaßen zu seinem Repertoire.
Entsprechend ist dann auch diese Doku ausgefallen: Man merkt, dass hier kein Arte Tracks-Team auf das Thema "Punk" losgelassen wurde, sondern jemand, der sich auskennt und selbst dabei war.
Und so umfassend das Thema auch ist, so vermessen der Anspruch, die Geschichte von Punk in anderthalb Stunden Film zu verpacken, so ist dies doch zu zwei Dritteln hervorragend gelungen. Ausgehend vom Garagepunk der Sechziger über STOOGES, MC5 und VELVET UNDERGROUND, über NEW YORK DOLLS, DICTATORS, TELEVISION, Patti Smith, RAMONES und BLONDIE, über SEX PISTOLS und THE CLASH, Siouxsie Sioux und Chrissie Hynde, arbeitet sich Letts bis Ende der Siebziger vorbildlich durch die Geschichte, hatte exzellente Interviewpartner (neben Musikern der erwähnten Bands etwa Hillie Crystal vom CBGB's, Soundgenie Glenn Branca, Jello Biafra, Henry Rollins oder Legs McNeil vom prototypischen New Yorker "Punk"-Magazin) und legt schlüssig dar, warum Punk so wichtig und anders war/ist.
Die Interviewsequenzen werden immer wieder mit Livebildern und Fotos hinterlegt, und alles in allem ist das Schulfernsehen pur - eine höchst interessante Zeitreise. Ungenau wird der Film dann erst in den Achtzigern und Neunzigern, als Letts wohl nicht mehr aus eigener Erfahrung schöpft: zu einem Interview mit Roger Miret in Sachen frühen US-Hardcores werden Clip-Ausschnitte aus den Neunzigern gezeigt, dann sind da plötzlich NIRVANA, man springt zu BLINK 182, aber der Einfluss von NO FX, BAD RELIGION und OFFSPRING bleibt unerwähnt.
Wirklich ärgerlich ist das nicht, man hätte es nur besser machen können - siehe "American Hardcore". Sehr schön dann auch die umfangreiche Bonusausstattung mit diversen weiteren Interviews und Features, die gegenüber den knapp 88 Minuten des eigentlichen Films nochmal an die 140 Minuten ausmachen.
Ein exzellentes Package, sowohl für alte Hasen wie für wissbegierigen Nachwuchs. (9)
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #71 April/Mai 2007 und Joachim Hiller