Man muss schon eine gewisse masochistische Neigung mitbringen, um am Werk des Polen Andrzej Zulawski wirklich Gefallen zu finden, der in seinen Filmen die dunklen Seiten der menschlichen Seele freilegen will, aber nur zu oft ein hysterisches Schmierentheater am Rande der Lächerlichkeit inszeniert, dessen emotionalen Momente verlogener und unechter nicht sein könnten, und eben auch oft unfreiwillig komisch.
In seinem Skandalfilm NACHTBLENDE von 1974, sein sicherlich bekanntestes Werk, verschaffte er so Romy Schneider einen recht zweifelhaften Auftritt, bei dem man bezüglich des Geisteszustandes aller Beteiligten doch etwas ins Grübeln kam.
Sieben Jahre brauchte er dann bis zu seinem nächsten Film POSSESSION, in den Hauptrollen Isabelle Adjani, Sam Neill und Heinz Bennent, der Vater vom kleinen Oskar-Darsteller in Schlöndorffs DIE BLECHTROMMEL.
Hieß es bei NACHTBLENDE bereits „Brutal, nackt, obsessiv und intensiv. Ein Filmgenuss der komplizierteren Art.“, kann man das auch bei POSSESSION so stehen lassen, in dessen Mittelpunkt erneut eine Dreiecksbeziehung thematisiert wird.
Nur dass Zulawski diesmal noch viel stärker in tiefenpsychologische Grenzbereiche abtaucht, voller bedeutsamer und schwer dechiffrierbarer Symbolismen, „eine Entfremdung vom eigentlichen Sein“.
Man kann über mehrere Seiten den Inhalt von POSSESSION bis ins Detail wiedergeben und dennoch wird niemand nachvollziehen können, worum es eigentlich geht – seeing is believing, deshalb geht man ja ins Kino.
Neill spielt einen gewissen Mark – aus dessen Beruf bis zum Ende ein großes Geheimnis gemacht wird, irgendwas politisches scheinbar, weshalb er auch oft als Agent bezeichnet wird –, der von einer Dienstreise ins heimische Berlin (West) zurückkehrt und vor den Trümmern seiner Ehe steht.
Seine Frau hat inzwischen einen Anderen und verlässt ihn und den gemeinsamen fünfjährigen Sohn, um sich schließlich in einem heruntergekommenen Haus direkt an der Berliner Mauer einzunisten, wo als Produkt ihrer sexuellen Frustrationen ein schleimiges Tentakelmonster Gestalt annimmt, das sie mit Menschenfleisch füttert und mit dem sie Sex hat („I can’t exist by myself because I’m afraid of myself.
I create my own evil.“). Parallel dazu erlebt man die Bemühungen ihres Mannes herauszufinden, was seine Frau da eigentlich treibt, der dabei seltsame Begegnungen mit ihrem Liebhaber hat und sich in die Kindergärtnerin seines Sohnes verguckt, die zufälligerweise genauso wie die Adjani aussieht, mal abgesehen von den albernen giftgrünen Kontaktlinsen.
POSSESSION wird dabei ausschließlich von Charakteren bevölkert, die nicht mehr alle Tassen im Schrank haben und in deren Nähe sich wirklich keine Kinder aufhalten sollten. Eine Art Fiebertraum in lebensbedrohlichen Temperaturregionen, ein perverses Märchen, ersonnen von Irrenanstaltsinsassen.
Das Erstaunlichste an POSSESSION ist aber, dass man diesen Psychozirkus noch nicht mal ernst nehmen kann: die Darsteller agieren dermaßen over the top, dass selbst jede Theaterbühne darunter bersten würde, mal abgesehen von dem ganzen anderen lachhaften Stuss, den Zulawski noch in zwei Stunden Film gepfropft hat.
POSSESSION ist das filmische Äquivalent eines Verkehrsunfalls, eigentlich völlig entsetzlich, aber dennoch kann man den Blick nicht abwenden. Genug zu sehen gibt es ja auch, vor allem das wundervolle Tentakelmonster, erdacht von Carlo Rambaldi, der auch an ALIEN und DUNE beteiligt war.
Oder den Komplettzusammenbruch von Isabelle Adjani in einer U-Bahn-Unterführung, gesteigert durch den Einsatz von literweise Kotze, Blut und Schleim. Aber auch die Kulisse von Berlin hat großen Anteil an der generell völlig bizarren Atmosphäre des Films.
Ganz zu schweigen von dem abstrusen apokalyptischen Finale, das Zulawski noch in petto hat. Verwirrt? Daran wird sich auch nach der Sichtung von POSSESSION nichts ändern. Wenn man dennoch mal sein Glück mit Zulawski versuchen will, ist POSSESSION wahrscheinlich der sinnvollste Einstieg, der dank seiner Horrorelemente – Polanskis REPULSION oder Cronenbergs THE BROOD sind als Einflussquelle klar erkennbar – auch bei Genrefreunden einen gewissen Ruf besitzt.
In Deutschland ist er bisher noch nie erschienen, in England galt er wegen seiner provokanten Sexszenen lange als „Video Nasty“ und die Amis schnitten damals über 40 Minuten aus dem Film heraus, was natürlich völlig kontraproduktiv war.
Wenn mal keine gute Komödie zur Hand ist, das wilde Mischmasch aus Monstern, heillosem Chaos und Nervenzusammenbrüchen von POSSESSION delivers the goods, aber vielleicht bin ich ja auch nur völlig abgestumpft, denn eigentlich soll das hier ja ein Liebesfilm über die Unmöglichkeit von Liebe sein – bis in den Tod.
Für manche ein kontroverses Meisterwerk, für andere unerträglicher, dilettantisch gemachter Schwachsinn, aber das sollte man besser selbst entscheiden. Aber behaupte niemand, ich hätte ihn nicht gewarnt! Bei Bildstörung ist der Film jetzt in ungekürzter Form und gewohnt guter Qualität auf DVD erschienen, eine deutsche Synchronisation gab es nie und wurde auch nicht extra neu erstellt, als Bonus gibt es einen Audiokommentar von Zulawski (der von der schon länger erhältlichen US-DVD stammt) und eine knapp einstündige Dokumentation, neben einem umfangreichen Booklet.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #87 Dezember 2009/Januar 2010 und Thomas Kerpen