Wie ich schon an anderer Stelle schrieb, dürfte „Das Phantom der Oper“ von Gaston Leroux hinsichtlich seiner Adaptionen einer der überstrapaziertesten Stoffe der Weltliteratur sein. Andrew Lloyd Webbers Musical gehört dabei zu den absoluten Tiefpunkten, aber auch Dario Argento Filmversion von 1998 ist nicht gerade ein Highlight, wohingegen Brian De Palma der Geschichte mit „Das Phantom im Paradies“ 1974 wirklich originelle Seiten abgewinnen konnte. Und auch Dwight H. Littles „Phantom Of The Opera“ (wie schon bei anderen Releases wurde hier der englische Originaltitel verwendet) erweist sich bei einer neuerlichen Sichtung als eine der erfreulicheren Adaptionen, wahrscheinlich auch wegen des mangelnden Respekts gegenüber der Vorlage, die sich hier nur in Fragmenten wiederfindet. Stattdessen gibt es ein bisschen Zeitreise-Unsinn, Jack the Ripper-Motive und Anleihen bei „Theater des Grauens“. Und natürlich Robert Englund, der hier mehr oder weniger den Freddy Krueger gibt. Natürlich ist hier auch viel fragwürdiges Talent mit an Bord, so drehte Regisseur Little zuvor den miserablen „Halloween IV“, Harry Alan Towers produzierte in den 1960er Jahren einige Jess Franco-Heuler und Hauptdarstellerin Jill Schoelen war in „The Stepfather“ von 1987 noch am erinnerungswürdigsten. Dafür kann Maskenbildner Kevin Yagher hier sein ganzes Können zeigen, der schon zuvor mit Englund bei drei „Nightmare on Elm Street“-Filmen zusammengearbeitet hatte. „Phantom of the Opera“ ist schön makabere und blutige Grand-Guignol-Unterhaltung, weshalb auch auf VHS (im Kino lief er nie) zahlreiche Schauwerte fehlten. Wie schon vorherige DVD- und Blu-ray-Veröffentlichungen ist das aktuelle Mediabook von Capelight (mit DVD und Blu-ray) komplett ungeschnitten und enthält die recht ordentliche deutsche Video-Synchro das erste Mal in Stereo.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #162 Juni/Juli 2022 und Thomas Kerpen