15 bis 17 Stunden Arbeitszeit pro Tag, absolviert angeblich in einer Art Mönchskutte, dazu jeweils bis zu fünfzig Tassen Kaffee: Honoré de Balzac hatte sich schon zu Lebzeiten (1799-1850) einen legendären Ruf erarbeitet. Ähnlich sagenumwoben ist sein trotz eher bescheidenem Einkommen luxuriöser Lebensstil, den er vermutlich durch Affären mit betuchten Damen teilfinanzierte (und dennoch Schulden anhäufte). Von den in Anlehnung an den Satiriker François Rabelais (1494-1553) und Giovanni Boccaccios hundert Novellen („Decamerone“, ca. 1350) angestrebten hundert beißend bitterbösen Geschichten über den französischen Hochadel und die geistliche Elite des 15. Jahrhunderts hat er zwischen 1832 und 1837 dennoch nur dreißig zu Papier gebracht. Immer wieder haben die vor Frivolität nur so strotzenden Geschichten Illustratoren – darunter Gustave Doré, Albert Robida und Lovis Corinth – dazu animiert, sie mit Bildern zu unterlegen. Jetzt haben sich die Brüder Paul und Gaëtan Brizzi mit „Die schöne Imperia“, „Die lässliche Sünde“, „Der Erbe des Teufels“ und „Die Frau Konnetabel“ vier der Geschichten herausgepickt und sie mit einer mit Details/Gerüchten aus Balzacs Leben gespickten Rahmenhandlung zu ihrer Entstehung versehen. Es wird mit satirischem Unterton und wohlschattiertem karikaturartigen Strich heftig geflirtet, gevögelt, gelogen, intrigiert und gemordet. Also ein bisschen „Game of Thrones“ in lustig(er). Im Gegensatz zu Balzacs Original wurde die Sprache dankenswerterweise modernisiert und lässt sich zügig runterlesen. Und ja, politisch korrekt ist das alles nach wie vor garantiert nicht. „Ist noch heißer Kaffee da?“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #168 Juni/Juli 2023 und Anke Kalau