Die gute Nachricht vorweg: Edwyn Collins geht es nach seiner schweren Erkrankung glücklicherweise wieder besser. Wenn das Two-Hit-Wonder ("Rip it up" von 1982 und "A girl like you" von 1995) seinem Hit-Rhythmus treu bleibt, ist also spätestens 2008 der nächste Nummer-Eins-Hit fällig.
Mit der Zusammenstellung "The Glasgow School" zeigt Domino Records einen schönen Rückblick auf die glorreichen ersten Gehversuche von Edwyns erster Band ORANGE JUICE, die ein knappes Jahr lang, 1980/1981 mit einer Handvoll Singles auf dem klitzekleinen, aber unglaublich hippen Postcard Label aus Glasgow den Britpop neuzeitlicher Prägung begründete.
Die Auswirkungen der "Glasgow School" erwischten die SMITHS sowie die melodischeren der C-86-Bands, ebenso blieb Postcard nicht folgenlos für die folgenden Generationen des schottischen Gitarrenpop-Adels von TEENAGE FANCLUB über BELLE & SEBASTIAN bis zu bekennenden Fans wie FRANZ FERDINAND.
Die Compilation fasst nun die vier Singles dieser Ära sowie die unveröffentlichte Debüt-LP "Ostrich Churchyard" zusammen, die wegen der Desertation der Band zum riesengroßen, unglaublich unhippen Major Polydor bis zur Erstveröffentlichung durch das wiederbelebte Postcard Label Anfang der Neunziger im Giftschrank gammeln musste.
Der Opener, das Single-Debüt "Falling and laughing" zeigt eine reichlich amateurhafte, ungelenke, aber hochgradig euphorisierte Band, die sicherlich besser noch ein paar Monate im Proberaum verbracht hätte, bevor die hundert(!) Pfund für die erste Studioaufnahme verballert wurden.
Dennoch ist der Song, ebenso wie die fabelhafte Instro-B-Seite "Moscow Olympics", eine vor Charme nur so strotzende Hymne über erste Liebe, gefundenes und direkt wieder verlorenes Selbstvertrauen und die emotionellen Katastrophen des Teenagerdaseins, verpackt in treibende (aber noch sehr rumpelige) Post-Punk-Disco-Beats, dazu die pumpende Bassbegleitung und die unnachahmliche "BYRDS treffen CHIC"-Gitarrenarbeit.
Dass sich Edwyns Stimme ob des hormonellen Überschusses gerne mal überschlägt, sei ihm nachgesehen. Deutlich straffer schon präsentieren sich ORANGE JUICE dann auf der zweiten 7" "Blue boy" sowie dem dritten Streich "Simply thrilled honey", wobei gerade bei letzterem das gnadenlose Songwriter-Talent von Collins zum ersten mal richtig aufblüht.
Der Mantel des Schweigens sei über die konfuse Artschool-New Wave-Simulation "Breakfast time" gelegt. Mit "Poor old soul", einem hübschen, selbstironischen Northern-Soul-Gehversuch, endet dann schon die enorm produktive und einflussreiche Indie-Periode von ORANGE JUICE, es rufen die Verlockungen des Popstartum, das Majorlabel, die teuren Produktionen.
Wäre "Ostrich Churchyard" nun noch wie geplant auf Postcard erschienen, was wäre anders gekommen? Eigentlich wenig, denn die Polydor-Fassung des Albums unter dem Titel "You Can't Hide Your Love Forever" enthält bis auf wenige Ausnahmen das identische Material, nur ist alles etwas glatter produziert, die Gitarren sind häufiger gestimmt, man hat ihnen Background-Sängerinnen spendiert, und Edwyns Stimmüberschläge halten sich auch in vertretbaren Grenzen.
Dass "You ..." dann in polierter Form beim Megamajor erschien, hat OJ natürlich überhaupt nichts gebracht. Genau genommen war es ein ordentlicher Flop, und es dauerte noch ein knappes Jahr, bis aus dem Nachfolgealbum der erste richtige Hit ausgekoppelt wurde.
Ich jedenfalls werde dem Beispiel von BELLE & SEBASTIAN- Mastermind Stuart Murdoch folgen: Dieser berichtet, noch am gleichen Tag, als er "The Glasgow School" bekam, mit dem Cover in den nächsten Copyshop gelaufen zu sein, um sich das süße Postcard-Kätzchen auf ein T-Shirt drucken zu lassen.
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© by Ox-Fanzine - Ausgabe #62 Oktober/November 2005 und Gereon Helmer