Als der „Eiserne Vorhang“ noch existierte bis Ende der Achtziger, lagen zwar sowohl die DDR wie Polen dahinter, doch die Qualität der Unfreiheit in beiden sozialistischen Diktaturen unterschied sich. Während in der DDR Kunst und Musik stark sanktioniert wurden, war die Situation in Polen im Vergleich etwas liberaler, entsprechend konnte sich dort eine vielfältigere Subkultur mit allen Schattierungen des Punk entwickeln, von eben klassischem Punkrock über Hardcore bis hin zu den dunklen Schattierungen des Goth. Das spiegelt sich auch in den musikalischen Hinterlassenschaften wider, der Möglichkeit von Rereleases. In Sachen DDR ist das Feld sehr eng begrenzt, es scheiterte vielfach schon an der Aufnahmetechnik, wohingegen in den letzten Jahren diverse Labels sich der Aufbereitung der polnischen Szene der Achtziger widmen. So nun auch im Falle von ONE MILLION BULGARIANS, die sich 1986 in Rzeszów gründeten, aus der Asche der Punkband RED STAR. Gleich im ersten Jahr ging die Band ins Studio, nahm eine ganze Ladung Songs auf, und man ahnt, dass JOY DIVISION und SISTERS OF MERCY auch im Osten Europa auf sehr offene Ohren gestoßen waren. 1987 ging es erneut ins Studio, acht Songs wurden eingespielt, doch den Autoritäten war das wohl nicht geheuer, die Zensur schlug zu, es kam zu keiner Veröffentlichung. Nach der „Wende“ ging der Kern der Band für ein paar Jahre nach Frankreich, es gab diverse Veröffentlichungen und 2004 dann wurde endlich das Debütalbum von 1987 veröffentlicht, die Band war und blieb aktiv, zuletzt gab es 2016 eine Veröffentlichung. Das polnische Noise Annoys-Label hat nun in Form zweier separater LPs, „Pierwsza Plyta Vol 1“ und „Pierwsza Plyta Vol 2“, sowohl die frühen Aufnahmen wie das erste Album rausgebracht, und ich bin begeistert: ONE MILLION BULGARIANS spiel(t)en wirklich erstklassigen Goth-Punk mit meist polnischen Texten, mit dem 7:32 laufenden „Animal love“ hätte es damals aber auch für eine 12“ im Westen reichen können und einem Club-Hit als Resultat. Aber ... es sollte nicht sein. Ich hätte mir gewünscht, für das internationale Publikum hätte sich jemand die Mühe gemacht, die Bandgeschichte mal auf Englisch niederzuschreiben und hier beizulegen. Wer im Wave-Bereich schon alle Klassiker in doppelter Ausfertigung hat, sollte mal hier aktiv werden.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #167 April/Mai 2023 und Joachim Hiller