Fein zusammengebaute, weibliche Choräle sind das bestimmende Merkmal von „Nio Systrar“. Sie sind zum Greifen nah und werden begleitet von staunenden, lang ausklingenden Drones, Synthesizer-Spuren und tribalistischen Drums. Mehrstimmiges Summen und anklagende Rufe errichten anmutige Melodien, die beschwörend, existenzialistisch, apokalyptisch oder euphorisch sind. Das weiß nur Linnea Hjertén, Solokünstlerin aus Schweden, denn ihre Stimmgewalt bleibt wortlos. Sie ist eine unzuverlässige Erzählerin, weil sie nicht mit Worten, sondern allein über ihre Stimme kommuniziert. Die Rezipient:innen müssen sich ein eigenes, ungetrübtes Bild machen, denn eine Einordnung von Künstlerinnenseite existiert zumindest werkimmanent nicht. Es ist ein vollständiges Tappen im Dunkeln. Das Ungewisse verkleidet sich vollständig in der Musik. Die intendierte Wirkung der Gesänge bleibt komplett im Verborgenen und kann folglich nur in denjenigen selbst liegen, die es hören.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #174 Juni/Juli 2024 und Henrik Beeke