NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PERVERS, SONDERN DIE SITUATION, IN DER ER LEBT

Wenn man heutzutage etwas belustigt zur Kenntnis nimmt, wie im ständig präsenten, regelrecht aufdringlichen Off-Kommentar von Rosa von Praunheims Skandal-Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers...“ mit pathetischem Tonfall gegen die sich selbst bemitleidende homosexuelle Minderheit polemisiert wird, darf man dabei nicht vergessen, dass erst zwei Jahre zuvor der §175 StGB liberalisiert wurde und praktizierte männliche Homosexualität unter Erwachsenen fortan nicht mehr strafbar war.

Dadurch entwickelte sich langsam ein öffentliches schwules Leben in Deutschland, das allerdings im Geheimen stattfand, denn von großer Toleranz der Mehrheit gegenüber den Schwulen war wenig zu spüren.

Weshalb Praunheims kämpferische Parole im Film auch „Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen! Freiheit für die Schwulen!“ lautet. Der Mainstream reagierte auf den im Auftrag des WDR gedrehten Film durchaus schockiert, allerdings auch schon damals belustigt – wie während der Berlinale 1971 – aufgrund seiner wenig überzeugenden Authentizität, die oft den Anschein von Dilettantismus machte, während ein großer Teil der schwulen Subkultur Praunheims vermeintlichen Aufklärungsfilm als beängstigendes Homosexuellen-Bashing empfand.

Eine dementsprechend hitzige, auf dieser schön aufbereiteten DVD-Veröffentlichung enthaltene Diskussionsrunde anlässlich der umstrittenen Ausstrahlung des Films 1972 im WDR macht noch mal deutlich, wie viel sozialer und politischer Sprengstoff in Praunheims provokanten Thesen steckte und immer noch steckt.

Ein auch noch mehr als 40 Jahre nach seiner Entstehung bedeutsames zeitgeschichtliches Dokument, das letztendlich der Verlogenheit der Gesamtgesellschaft den Spiegel vorhält.