MY FRIEND DAHMER

Derf Backderf

Man muss im Fall von „My Friend Dahmer“ wohl von einem dieser seltsamen Zufälle des Lebens sprechen. „Glücksfall“ erscheint angesichts der unangenehmen Thematik dieser Graphic Novel als etwas unpassende Umschreibung, denn wer will schon Schulfreund eines der berühmt-berüchtigtsten Serienkiller der Vereinigten Staaten gewesen sein.

Was wie gut ausgedacht klingt, ist allerdings Fakt: Comicautor Backderf ging tatsächlich zusammen mit Dahmer zur Schule. Der Name Jeffrey Dahmer sollte eigentlich noch jedem geläufig sein, denn spektakulär genug waren die Taten dieses 1994 von Mithäftlingen getöteten Serienmörders mit ausgeprägtem Hang zu Nekrophilie und Kannibalismus, der in Wisconsin zwischen 1978 und 1991 17 Männer und Jugendliche tötete.

Diese gabelte er in Homosexuellenbars und im Strichermilieu auf, brachte sie um, und missbrauchte anschließend ihre Leichen, Teile davon aß und fotografierte dies auch noch. Sein erstes Opfer wurde 1978 der Anhalter Steven Hicks, den er in Bath, Ohio tötete, wo er damals lebte und zur Schule ging.

An diesem Punkt ist „My Friend Dahmer“ allerdings zu Ende, denn Backderf, der zuvor mit „The City“, „Trashed“ und „Punk Rock and Trailer Parks“ andere interessante Arbeiten vorgelegt hatte, geht es darin um eine Aufarbeitung der möglichen Ursachen für Dahmers spätere Entwicklung, die man problemlos in den Bergen von „True Crime“-Literatur nachlesen kann.

Backderf nutzt „My Friend Dahmer“ in gewisser Weise auch, um mit eigenen Schuldgefühlen umzugehen, denn die große Frage dieser verstörenden wie großartigen Graphic Novel lautet: Wieso erkannte niemand, weder Eltern, Schüler oder Lehrer, die damaligen deutlichen Zeichen und ließ Dahmer zu dem Monster werden, das er schließlich in unseren Geschichtsbüchern wurde?