Kürzlich erschienen bei Polyfilm mit DAS GRAB DER SONNE, SING A SONG OF SEX, DIE NACHT DES MÖRDERS und NACHT UND NEBEL ÜBER JAPAN vier wenig bekannte Frühwerke aus den 60er Jahren von Nagisa Oshima auch im deutschsprachigen Raum auf DVD, die allerdings aufgrund ihres experimentellen wie politischen Anspruchs überwiegend recht unzugänglich sind.
Richtig im Westen bekannt wurde Oshima, der auch viele Dokumentationen fürs japanische Fernsehen drehte, erst 1976 durch seinen Skandalfilm IN THE REALM OF THE SENSES, dem 1978 der weit harmlosere, aber dennoch sehr schöne EMPIRE OF PASSION folgte.
Danach entstanden noch MERRY CHRISTMAS, MR. LAWRENCE und 1986 MAX, MON AMOUR, im Jahr 1996 beendete dann ein Schlaganfall Oshimas Karriere. Dennoch drehte Oshima 1999 noch GOHATTO, in dem er in gewisser Weise an seinen wohl bekanntesten Film MERRY CHRISTMAS, MR.
LAWRENCE anknüpfte. Darin verarbeitete er die Unvereinbarkeit von Homosexualität mit den Samurai-Idealen Mitte des 19. Jahrhunderts, erneut mit der Musik von Ryuchi Sakamoto und Takeshi Kitano als Hauptdarsteller.
MERRY CHRISTMAS, MR. LAWRENCE hingegen spielt auf der Insel Java gegen Ende des 2. Weltkrieges und schildert die Ereignisse in einem japanischen Kriegsgefangenenlager. Basierend auf dem Roman „The Seed and The Sower“ von Laurens van Der Post, aus dem Oshima und Paul Mayersberg (Drehbuchautor von DER MANN, DER VOM HIMMEL FIEL) ihre Version der Geschichte machten.
Oberflächlich betrachtet ist MERRY CHRISTMAS, MR. LAWRENCE ein später Vertreter des „Prisoner of war“-Genres, aber natürlich geht es bei Oshima um weiterführende humanistische Fragen und weniger um eine Analyse bestimmter kriegerischer Auseinandersetzungen.
In erster Linie handelt MERRY CHRISTMAS, MR. LAWRENCE vom unschönen Aufeinanderprall zweier gegensätzlicher Kulturen und ihres Verständnisses von Ehre und Menschlichkeit. Und so wird der Zuschauer hier mit dem grausamen und oft paradoxen Treiben der japanischen Soldaten konfrontiert, die ihren britischen Gefangenen übel mitspielen („God, I wish they’d stop hitting me.“).
Dabei entbrennt ein ungleicher Machtkampf zwischen Captain Yonoi (Ryuchi Sakamoto) und Major Jack Selliers (David Bowie), die in besessener, unnachgiebiger Form ihren Standpunkt durchsetzen wollen, zwei vor allem von persönlicher Schuld getriebene Individuen.
Während Colonel John Lawrence (Tom Conti) die undankbare Rolle des Vermittlers zwischen den Kulturen zufällt, was besonders bei dem grobschlächtigen Sergeant Gengo Hara (eine der ersten größeren Filmrollen von Takeshi Kitano) aber auf taube Ohren stößt.
Dabei geht es ebenfalls um offensichtliche homoerotische Tendenzen in dieser isolierten Männer-Welt, die die Japanern brutal unterdrücken und bei Zuwiderhandlung mit dem Tod bestrafen, weshalb diese verdrängte Liebe zwischen Männern auch das letzte verzweifelte Mittel von Selliers ist, um Captain Yonoi zu diskreditieren.
Ein nach wie vor verstörender und nachdenklich stimmender poetischer wie brutaler Film, bei dem nicht nur zwei Kulturen aufeinanderprallen, sondern auch mit Bowie und Sakamoto zwei bekannte Musiker bzw.
Popstars mit androgynem Äußeren, was MERRY CHRISTMAS, MR. LAWRENCE noch einen zusätzlichen Reiz verleiht. Ein seltener Glücksfall der Filmgeschichte, zumal Sakamoto auch noch den tollen Score beisteuerte, beim dem man nur bedauert, dass die Vocal-Version des Titelthemas mit David Sylvian nur auf dem Soundtrack-Album zu hören ist.
Ärgerlicherweise war die als FURYO – MERRY CHRISTMAS, MR. LAWRENCE in Deutschland bekannte Fassung vom damaligen Verleih um zehn Minuten Handlung erleichtert worden. Insofern stellt die aktuelle Arthaus/Kinowelt-DVD die erste ungeschnittene deutsche Veröffentlichung dieses Meisterwerks von Oshima dar, ergänzt noch um eine interessante ältere Dokumentation in VHS-Qualität.
Ziemlich miserabel ist leider immer noch die deutsche Synchronfassung, bei der man völlig ignorierte, dass sowohl englisch als auch japanisch gesprochen wurde, und die hier auch eine recht dürftige Tonqualität aufweist.
Aber die untertitelte Originalfassung ist ebenfalls enthalten, so wie es sich gehört.