Mathieu Kassovitz, der französische Schauspieler und Regisseur, gehörte Mitte der Neunziger zu den großen Regiehoffnungen des europäischen Kinos. Nach seiner mittelmäßigen Roman-Adaption DIE PURPURNEN FLÜSSE und den gruseligen internationalen Produktionen GOTHIKA und BABYLON A.D.
scheint sich Kassovitz inzwischen von anspruchsvollen Filmen verabschiedet zu haben. Insofern sieht man ihn inzwischen lieber vor als hinter der Kamera, denn seine darstellerischen Leistungen in AMÉLIE, DER STELLVERTRETER oder MÜNCHEN hinterließen mehr Eindruck.
Die Arthaus Close-Up Collection bietet jetzt noch mal die Gelegenheit, sich mit seinem interessanten Frühwerk zu beschäftigen. Darin enthalten LOLA LIEBT’S SCHWARZWEISS (1993), HASS (1995) und ASSASSIN(S) (1997).
Normalerweise darf man von dieser Reihe keine besonderen Überraschungen erwarten, in diesem Fall sind mit LOLA LIEBT’S SCHWARZWEISS und ASSASSIN(S) zwei Filme enthalten, die bisher nur vor Urzeiten mal auf Arte gezeigt wurden.
HASS (LA HAINE) hingegen wurde schon einige Male auf VHS und DVD ausgewertet. Eine immer noch eindringliche, in Schwarz-Weiß gefilmte Aufarbeitung realer Ereignisse. HASS schildert 24 Stunden im trostlosen Leben von drei Vorstadtjugendlichen, die einer hoffnungslosen Zukunft entgegensehen, zwischen Gewalt, Drogen und Polizeischikanen.
Dabei vermischt Kassovitz brisante Sozialkritik mit einem erstaunlich hohen Unterhaltungsanspruch, denn die straffe Inszenierung und die dynamische Kameraführung von Pierre Aïm hat nicht viel mit irgendwelchen drögen Milieustudien gemein.
Die Hauptdarsteller von HASS, Hubert Koundé und Vincent Cassel, tauchten bereits in Kassovitz’ erstem Spielfilm LOLA LIEBT’S SCHWARZWEISS (MÉTISSE) auf, wobei hier dem Regisseur selbst eine tragende Rolle zukommt.
Der spielt einen jüdischen Rapper und Fahrradkurier, der in eine seltsame Dreiecksbeziehung gerät, als er erfährt, dass seine Freundin Lola, eine Schwarze, schwanger ist, und auch noch ein Verhältnis mit einem ebenfalls schwarzen Diplomatensohn hat.
Auch hier zeigt sich Kassovitz’ Interesse an sozialen Themen, mehr als eine leidlich amüsante, harmlose Multikulti-Komödie kam dabei dennoch nicht heraus. Interessant an dieser DVD-Premiere ist, dass hier noch die beiden Kassovitz-Kurzfilme CAUCHEMAR BLANC und FIERROT LE POU enthalten sind.
Zwei Jahre nach HASS entstand dann 1997 ASSASSIN(S). In gewisser Weise ein Wendepunkt in Kassovitz’ Karriere, denn nachdem ihn die Kritiker wegen HASS quasi auf Händen trugen, wurde er von diesen wegen seines nächsten Films in der Luft zerrissen.
Angeblich war Hauptdarsteller Michel Serrault, einer der Veteranen der französischen Schauspielerzunft, während der Pressekonferenz in Cannes, wo ASSASSIN(S) das erste Mal vorgestellt wurde, wegen der heftigen Reaktionen fast den Tränen nahe.
Das führte anscheinend dazu, dass erst zehn Jahre später außerhalb Frankreichs eine gescheite DVD des Films in England erschien. Serrault spielt darin einen in die Jahre gekommenen Auftragskiller, der nach einem jüngeren Nachfolger sucht.
ASSASSIN(S) wirkt dabei teilweise, als ob Michael Haneke auf seine gewohnt unterkühlte Weise ein Remake von Michael Winners THE MECHANIC gedreht hätte, bei dem etwas plumpe Medienschelte und Kassovitz’ schon aus HASS bekanntes Interesse an der Thematisierung sozialer Missstände Hand in Hand gehen.
Ein damals leider missverstandener Film, denn letztendlich ist der Auftragskiller nur ein extremes Symbol für Kassovitz, um daran den Werteverlust innerhalb unserer Gesellschaft beim Übergang von Generation zu Generation festzumachen.
Trotz gewisser inhaltlicher Schwächen und eines Overkills an unterschiedlichen Themen einer der intensivsten, ambitioniertesten und besten Filme von Kassovitz, der schon alleine wegen Serrault und Pierre Aïms erneut elegant dahingleitender Kameraführung lohnt.
Sehr schön auch, dass hier neben einigen interessanten Interviews auch Kassovitz’ schwarzhumoriger Kurzfilm ASSASSINS... von 1992 enthalten ist, der die Vorstufe zum späteren Spielfilm bildete.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #100 Februar/März 2012 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #101 April/Mai 2012 und Thomas Kerpen