MARQUIS

Es gibt viele Versuche des Mediums Film, sich dem berühmt-berüchtigten Marquis de Sade anzunähern, kaum einer war so erfolgreich wie Henri Xhonneuxs MARQUIS, komischerweise die letzte Regiearbeit im eh schon spärlichen Gesamtwerk dieses Regisseurs.

In Zusammenarbeit mit dem französischen Multitalent Roland Topor, einem der letzten wahrhaften Surrealisten, der die Romanvorlage zu Polanskis DER MIETER schrieb und Drehbuchautor von LA PLANÈTE SAUVAGE war, entstand ein höchst bizarrer, schwarzhumoriger und frivoler Film, in dem echte Darsteller mit Tiermasken und Körperprothesen wie in einer Fabel agieren - die Stimmen wurden erst später hinzugefügt -, ein brillanter Kunstgriff, ansonsten hätte man hier teilweise die Grenze zur Pornographie überschritten.

Am Vorabend der französischen Revolution sitzt der Marquis mal wieder in der Bastille, wo auch sonst, wo er sich seinen skandalösen Schriften widmet und permanent mit seinem Colin genannten Schwanz über Kunst, Literatur, Politik und sexuelle Freiheit diskutiert - eine amüsante Form der Veranschaulichung der intellektuell reflektierten Triebhaftigkeit des Marquis -, als er plötzlich unfreiwillig zum Spielball einer politischen Verschwörung wird.

Aus der Sicht des Marquis werden so in metapherhafter Form die Ereignisse beleuchtet, die schließlich zum Ausbruch der Revolution führten. Auch wenn das alles ein bisschen nach Jim Henson aussieht, darf man sich von den putzigen Gummitiermasken nicht täuschen lassen, der Humor und die gesamte Machart von Xhonneuxs Film sind in höchstem Maße obszön, gewalttätig, surreal, satirisch und ausschließlich an ein erwachsenes Publikum gerichtet, was man angesichts der sonstigen Themen des Marquis de Sade auch erwarten sollte.

Aufgrund dieser ungewöhnlichen Umsetzung ist MARQUIS auch bis heute ein absolut einzigartiges Erlebnis geblieben, wenn man so will eine Mischung aus QUILLS und MEET THE FEEBLES. Zwar ähnlich spekulativ bezüglich der wahren Lebensgeschichte des Marquis wie viele andere Werke, was aber nichts an dem wundervoll klugen Humor von Xhonneuxs Film ändert, der das Etikett "Kult" zur Abwechslung tatsächlich mal verdient hat - ein echter Klassiker halt.

Nachdem die alte Videokassette des Films schon lange vergriffen ist, erscheint MARQUIS endlich hierzulande mal auf DVD (vor einiger Zeit gab es sogar mal eine französische DVD mit deutscher Tonspur) in ausgezeichneter Qualität, versehen mit dem Trailer und einigem Bonusmaterial über die Dreharbeiten.

Mit dieser gelungenen Veröffentlichung stellt sich ein neues kleines Label namens Bildstörung vor, das in nächster Zeit mit Rolf de Heers BAD BOY BUBBY und Agustí Villarongas IN A GLASS CAGE (siehe Review in Ausgabe #52 zu der US-DVD des Films) noch zwei weitere exzellente wie provokante Filme herausbringen wird - man darf gespannt sein.