Ich mag Patti Smith, ich mag ihre Musik, speziell ihre Platten aus der zweiten Hälfte der Siebziger, und ich habe „Just Kids“, ihre Autobiografie mit Erinnerungen an Robert Mapplethorpe, mit Begeisterung gelesen.
Umso mehr hat es mich geärgert, dass sie vor einiger Zeit eine Einladung zur Papstaudienz annahm – einen Besuch beim Chef einer der bis heute verbrecherischsten Organisationen der Menschheitsgeschichte, das kann man durch nichts rechtfertigen.
Entsprechend vorbelastet nahm ich „M Train“ in die Hand, und ihren Gang nach Rom werde ich der Dame zwar nie verzeihen können, aber ihr neues Buch hat mich besänftigt. Es ist keine direkte Fortsetzung ihrer relativ konkreten Lebenserinnerungen in „Just Kids“, sondern ein zunächst verwirrender, unstrukturiert wirkender Strom von Gedanken, der aber mit jeder weiteren Seite ein deutlicheres Bild ergibt, so wie beim Herauszoomen aus einer Nahaufnahme bis zum Landschaftsporträt.
Die Details sind Smiths Erinnerungsfetzen, das Landschaftsbild ihr Leben, zusammengesetzt aus lauter solchen Details, die sie vom ersten Eindruck her oft zusammenhanglos zusammenfügt. Erinnerungen an ihren verstorbenen Mann Fred Smith, an den Hurricane Sandy, an ihre Jugend, an Besuche im Haus von Frieda Kahlo in Mexico City, an Bücher, die sie las, an Fernsehserien (Patti Smith liebt Krimis), an Treffen des „Continental Drift Club“ in Deutschland zu Ehren des Polar- und Geowissenschaftlers Alfred Wegener, an Kaffee und Katzen, und und und ...
Das Buch wirkt wie eine Aneinanderreihung von Fieberträumen, doch was zu Beginn strukturlos erscheint, hat am Ende eine eigene Form gefunden.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #126 Juni/Juli 2016 und Joachim Hiller