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LIEBEN

Meine Erwartungshaltung deutschen Filmen gegenüber ist nicht sonderlich hoch, vor allem wenn es sich um ein von der Kunsthochschule für Medien Köln produziertes Werk handelt, doch hinter dem komischen Titel LIEBEN verbirgt sich eine kleine Überraschung.

Zwar ist auch hier ein penetranter Autorenfilm-Kunstanspruch zu spüren, aber Filmhochschulabsolvent Rouven Blankenfelds zweite Regiearbeit in Spielfilmlänge hat wirklich Biss und ist keinesfalls unangenehm verschnarcht – man könnte fast von einer Mischung aus DER FREIE WILLE, HENRY: PORTRAIT OF A SERIAL KILLER und NEKROMANTIK 2 sprechen.

Darin geht es um den Pfandflaschensortierer Boris, ein Sexualstraftäter, der nach einem Knastaufenthalt ähnlich wie Jürgen Vogel in DER FREIE WILLE versucht, ein normales Leben zu führen.

Während Vogel gegen den Trieb ankämpft, ist ihm Ex-Knacki Boris bereits wieder verfallen und führt eine abgründige Doppelexistenz. Auf der einen Seite der umgängliche Durchschnittsmalocher und uneigennützige Helfer in einem Treffpunkt für Junkies, auf der anderen Seite der brutale, berechnende Frauenmörder mit nekrophilen Neigungen.

Das stellt Blankenfeld nüchtern und subtil dar, fast wie in einer Doku, ohne allzu explizit zu werden, denn das Meiste spielt sich dabei im Kopf des Betrachters ab, aber das genügt. Wie die meisten Serientäter beherrscht auch Boris den Umgang mit der eigenen Schizophrenie perfekt.

Alles gerät erst aus dem Gleichgewicht, als die Mutter eines seiner Opfer auftaucht, die in der Drogenszene nach ihrer Tochter sucht und glaubt, in Boris einen Helfer gefunden zu haben. Hauptdarsteller Karsten Dahlem gelingt dabei eine wirklich exzellente Performance, der sowohl mitleiderregend als auch völlig abstoßend wirkt und durchaus Empathie für das Schicksal seiner Mitmenschen empfinden kann, wenn er sich nicht gerade wie ein Tier über Frauenleichen hermacht.

Dabei geht es Blankenfeld um grundsätzliche Kommunikationsprobleme und die Unfähigkeit, seine Gefühle auszudrücken beziehungsweise in normale Bahnen zu lenken, was Boris zwar bei der Mutter seines Opfers beinahe gelingt, aber diese Beziehung ist natürlich wegen seiner Taten zum Scheitern verurteilt.

Für einen Low-Budget-Film ist Blankenfeld eine erstaunlich verstörende und intensive Charakterstudie über die Abgründe menschlicher Triebhaftigkeit gelungen, die weit in Tabuzonen vordringt, ohne sich auf das Niveau billiger Horrorfilme zu begeben.

Dennoch sind seine Nekrophilie-Szenen harter Tobak und sprengen den Rahmen eines netten Fernsehspiels. Und auch wenn der Film gegen Ende etwas überladen und konstruiert wirkt, legt Blankenfeld dabei dennoch eine sympathische Konsequenz an den Tag und beschert LIEBEN einen absolut befriedigenden, offen gehaltenen Abschluss.

Hinter einem irreführenden Titel und verunglückten Cover verbirgt sich tatsächlich mal eine echte Perle deutschen Independentkinos, die man Freunden von filmischen Grenzüberschreitungen nur wärmstens ans Herz legen kann.

Als netten Bonus gibt es neben einem nicht uninteressanten Kurzfilm von Blankenfeld noch einen unterhaltsamen Audiokommentar des Regisseurs und Jörg Buttgereit (NEKROMANTIK 1 & 2), der wohl hierzulande immer noch als Fachmann für dieses Thema gilt, wenn er sich nicht gerade mit Gummimonstern beschäftigt.