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KLEIBER

Ein Krieg der Stille

2018 sprach Jens Rachut im Ox-Interview in #138 von der „Punker-Rente“, auf die er sich vorbereite. Da war er, wenn man der Angabe 1954 zu seinem Geburtsjahr Glauben schenken darf, noch kurz vor Rentenbeginn, wobei er deren Höhe auf „unter 300“ Euro taxierte. Der Rest ... nun ja, „Transferleistung“, wie dieses Instrument des Sozialstaates zur Vermögensumverteilung euphemistisch genannt wird. Und: Nebeneinkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit. Es darf vermutet werden, dass die Labels, bei denen in den letzten Jahren seine neuen Platten sowie die Wiederveröffentlichung all der alten erschienen sind, ihm einen gewissen Nebenverdienst verschaffen und dass bei den gar nicht so wenigen Konzerten seiner aktuellen Band MAULGRUPPE auch noch etwas Geld reinkommt. Und sicher auch noch etwas Honorar aus den Töpfen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, für den Rachut seit Jahren schon eher skurril bis sperrig anmutende Hörspiele produziert. Das ist der Lohn für 50 Jahre Kunst und Musik. Aber fangen wir von vorne an: Auf die bis heute (man korrigiere mich) in Sachen Tonträger undokumentiert gebliebene Rachut-Erstband FICKFEHLER (1979) folgten ab 1984 ANGESCHISSEN (1984-1988), DAS MOOR (1988), BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE (1991-1994), DACKELBLUT (1994-1999), KOMMANDO SONNE-NMILCH (1998-2013), OMA HANS (2001-2006), N.R.F.B (2011-2013), ALTE SAU (2013-heute), RATTENGOLD (2014-2018; die Coverband in eigener Sache) und MAULGRUPPE (seit 2018; alle Angaben ohne Gewähr). Und nun eben ... KLEIBER. Ein(e) Oper(nbandprojekt), wie das Schallplattenveröffentlichungsbegleitschreiben von Major Label festhält. Dokumentiert auf vier LP-Seiten. Mit Beteiligung (neben Jens Rachut) von Thomas Wenzel, Atli Samel, Ruth May, Fritzi Ernst, Elisabeth Wöllert und Ted Gaier (und anderen). Von „Konzeptalbum“ redet das Label und haut Sätze raus, die schwer nach O-Ton Rachut klingen: „Der Dschungel bellt. Der Dschungel böllt – mit diesem Satz fing die erste Oper an – komponiert um 128 v Christus von Angurius Plagos in Hamburg-Bahrenfeld. Jetzt, heute, im Zeitalter des digitalen Kummers und der Verwirrung kommt wieder eine Oper, geschaffen in einer Zeit, in welcher niemand – außer Jens Rachut – Zeit und Mut für ein solches Werk hat. Oder ein Label, welches verrückt genug ist, dieses zu veröffentlichen. KLEIBER ist eine Reise in die Tiefen der Traurigkeit. 4 Akte über einen Trennungswurm, der nach Paaren sucht, die schon länger stillstehen und sich nach seinem Biss trennen. Unaufhörlich wie die Zeit, Abweichungen, Vereinsamung, Verschwinden in der Nacht.“ Wie das klingt? Sagen wir so: Wer auf der Suche nach mehr DACKELBLUT schon an KOMMANDO SONNE-NMILCH und N.R.F.B scheiterte, ist nicht reif für diese Platte. Und Oper ist das eher im Sinne von Brecht/Weill, remixt mit Jensens Hörspielen. Für Fortgeschrittene. Super Text: „Wildschwein“