Robert Wienes 1920 entstandener Film „Das Cabinet des Dr. Caligari“ gilt als einer der Meilensteine der Stummfilm-Ära und Vorreiter der filmischen Verlängerung der schon einige Jahre zuvor aufgekommenen Kunstrichtung des Expressionismus. 2014 gelang der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung eine weitgehend vollständige Restauration dieses Klassikers, bei dem auch – im Gegensatz zu vielen anderen Filmen der Stummfilm-Ära – Teile der Original-Filmmusik erhalten geblieben waren, die im Sinne des ursprünglichen Komponisten nachempfunden wurde. Versuche, Stummfilme mit passender neuer Musik zu unterlegen, gab es immer wieder, zu den abschreckendsten Beispielen dürfte Giorgio Moroders Bearbeitung von „Metropolis“ mit eingefärbtem Bild und Beschleunigung des Schnitts von 1984 gehören. An Wienes Film hatte sich bereits Kakophonie-Experte John Zorn versucht, aktuell machte sich Karl Bartos, von 1975 bis 1990 Mitglied der legendären deutschen Elektronikpioniere KRAFTWERK, Gedanken um eine geeignete Soundkulisse für Wienes Film, die jetzt auch auf CD und LP erschienen ist, ein paar wenige Kinovorstellungen gab es auch. Insofern ist das Problem bei der Bewertung dieser 37 Klangminiaturen, dass einem das passende Bild dazu fehlt. Wer Wienes Film mal gesehen hat, kann allerdings schon ungefähr einschätzen, ob Bartos dabei in atmosphärischer Hinsicht den richtigen Ton trifft. Mit KRAFTWERK hat das allerdings wenig zu tun, es erinnert eher an die karnevalesken minimalistischen Frühwerke der RESIDENTS. Interessant ist „The Cabinet Of Dr. Caligari“ in musikalischer Hinsicht auch weniger wegen des KRAFTWERK-Backgrounds von Bartos, sondern weil er vor seiner Zeit im Kling-Klang-Studio eine klassische Musikausbildung genossen hat, wie die meisten großen Filmmusikkomponisten, was ihm dabei sicher zugutegekommen ist.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #107 April/Mai 2013 und Thomas Kerpen
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