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IL DIVO

Schon seltsam, selbst wenn man sich als politikinteressierten Menschen bezeichnen würde, könnte man eine Person wie Giulio Andreotti inzwischen verdrängt haben, der die italienische Nachkriegspolitik seit Ende der 40er bis Anfang der 90er Jahre als Ministerpräsident und durch andere Ministerposten wie kein anderer geprägt hat.

Eine erstaunliche, äußerst lange Karriere eines Menschen, dem eine gewisse Unscheinbarkeit anhaftete und offenbar ein ungeheurer, gefährlicher Machtwille innewohnte. Gleichzeitig war Andreotti auch für seinen humorigen Zitate bekannt, wie etwa: „Wenn ich in die Kirche gehe, spreche ich nicht mit Gott, nur mit dem Priester, denn Gott geht nicht wählen.“ Ein spaßiges Kerlchen, geplagt von chronischen Kopfschmerzen, das in Paolo Sorrentinos Biopic mit seinen komischen Ohren wirkt wie die Karikatur eines eingeschrumpelten Vampirs, fehlen nur der Umhang und die Eckzähne – so muss er auf viele Menschen wohl auch tatsächlich gewirkt haben.

An dieser Stelle auf alle Facetten der politischen Karriere Andreottis einzugehen, macht nicht allzu viel Sinn, denn dafür gibt es ja ausführliche Wikipedia-Einträge. Sinn macht eine Beschäftigung mit Andreottis Karriere auf jeden Fall, denn Sorrentinos Film mag ein Biopic sein, nähert sich seinem Sujet aber auf eine recht abstrakte Weise, wodurch der Zuschauer die Lücken darin selbst füllen muss, wenn er nicht gerade ausgezeichneter Kenner italienischer Politik ist.

IL DIVO schwankt dabei zwischen anspruchsvoller Charakterstudie und Thriller, eine Mischung aus THE GODFATHER und Oliver Stones NIXON, inszeniert im überästhetisierten Stil eines Guy Ritchie, was so faszinierend wie widersprüchlich erscheint.

Und dementsprechend ist IL DIVO einer der wenigen Filme der letzten Zeit, bei dem man komischerweise sofort danach das Bedürfnis verspürt, ihn erneut anzuschauen, einmal, um noch mal die eleganten Bilder zu genießen, aber vor allem, weil man das Gefühl hat, irgendwas Wichtiges zum Verständnis des Films übersehen zu haben, alleine schon wegen der unzähligen, teilweise nur kurz darin auftauchenden Charaktere.

Denn Sorrentino deutet mehr an, als er konkret ausspricht, wahrscheinlich auch durchaus angebracht, wenn man einen Film über einen noch lebenden Menschen dreht, dessen Verwicklungen mit dem organisierten Verbrechen sprich der Mafia in der Zeit zwischen 1991 und 1993 thematisiert werden sollen.

Ein Vorwurf, mit dem Andreotti lange zu kämpfen hatte, aber dem man niemals etwas konkret nachweisen konnte. Achtundzwanzigmal konnte er die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität abwehren, erst der 29.

Versuch führte zu ihrer Aufhebung und 1993 gab es erste Prozesse wegen Andreottis angeblicher Mafiabegünstigungen. 2003 wurde Andreotti dann vom Vorwurf der Verbindung zur Mafia freigesprochen, allerdings wegen der eingetretenen Verjährung.

Objektiv oder nicht, IL DIVO präsentiert sich als Politkino der besonderen und anspruchsvollen Art, bei dem man als Zuschauer gefordert ist und nicht alles vorgekaut auf dem Goldtablett serviert bekommt.

Komplex und „thought provoking“ und keinesfalls leichte Unterhaltung, trotz sehr amüsanter, wenn auch fast etwas deplatzierter Momente. „Wenn man nichts Gutes über jemanden sagen kann, sagt man am besten einfach nichts.“, meint Andreottis Mutter an einer Stelle des Films und Sorrentino hat sich in dieser Hinsicht geschickt aus der Affäre ziehen können.

Sehenswert, wenn auch wahrscheinlich für viele Leute eine etwas frustrierende Erfahrung. Bereits seit Oktober mit einigen Features zu Entstehung des Films auf DVD erhältlich.