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HUNGER

„Not another IRA movie!“, möchte man ausrufen angesichts des Regiedebüts von Steve McQueen (ist so ein Name eigentlich Segen oder Fluch oder beides?), der wohl in erster Linie als bildender Künstler unterwegs ist.

Vor allem wenn man gerade noch Kari Skoglands FIFTY DEAD MEN WALKING angeschaut hatte, einen Undercover-Streifen von der Stange vor dem Hintergrund des Nordirland-Konfliktes, durchaus unterhaltsam und gut inszeniert, aber letztendlich nur eine äußerst banale Vereinnahmung dieses Themas.

HUNGER geht da glücklicherweise in eine ganz andere Richtung, will kein triviales Unterhaltungskino sein, sondern sein Publikum mit der unangenehmen Realität konfrontieren, ohne dabei eine analytische Aufarbeitung dieses Themas anzustreben.

Im Mittelpunkt steht ein eher singuläres Ereignis Anfang der 80er Jahre im Maze Prison, einem Hochsicherheitsgefängnis nahe Lisburn in Nordirland, in dem sowohl Angehörige von protestantischen Organisationen wie der UDA als auch von irisch-katholischen wie der Provisorischen IRA und der INLA ihre Haftstrafen absaßen.

1981 traten dort einige republikanische Häftlinge in wochenlange Hungerstreiks, um die Britische Regierung zu zwingen, sie als Kriegsgefangene anzuerkennen und nicht nur als gewöhnliche Kriminelle zu behandeln.

Zehn von ihnen sterben dabei, einer davon ist das IRA-Mitglied Bobby Sands, die zentrale Figur in HUNGER. Nach einer Schießerei mit der Polizei wurde er zu 14 Jahren Haft verurteilt und erlag schließlich nach 66 Tagen den Folgen seines Hungerstreiks im Gefängniskrankenhaus, was ihn zum Märtyrer in diesem Konflikt machte.

Bis auf eine lange Sequenz, in der sich Sands mit einem Priester über den ideologischen Hintergrund seines Protestes im Zusammenhang mit zentralen religiösen und politischen Positionen der beiden Gesprächspartner auseinandersetzt, ist HUNGER ein Film ohne viele Worte, doch es reichen auch die Geräusche, um den menschenunwürdigen Gefängnisalltag jederzeit nachvollziehbar zu machen.

Eine Abfolge von Demütigungen der Gefangenen, die sich weigern Gefängniskleidung zu tragen und 24 Stunden am Tag nur mit Wolldecken umhüllt nackt in der Zelle verbringen müssen, da sie sich auch der Gefängnisarbeit verweigern und als kleine Rache ihre Zellen mit Urin und Kot ausschmücken.

McQueen verzichtet dabei auf eindeutige Gut-Böse-Einteilungen und stellt sich eher auf den Standpunkt eines neutralen Beobachters im Zwiespalt zwischen der übertriebenen Brutalität der Wärter und der sinnlosen Starrköpfigkeit der Häftlinge, deren Taten dabei ausgeklammert werden.

Die Außenwelt besitzt für das soziale Vakuum des Hochsicherheitstrakts dabei kaum Bedeutung, sieht man von den Besuchen von Angehörigen oder kurzen Bildern des Alltags eines der Wärter ab, dessen Tag mit einem ängstlichen Blick unter das Auto beginnt, um eventuell eine dort angebrachte Autobombe zu entdecken.

Ansonsten gilt McQueens Augenmerk dem qualvollen Sterben seiner Hauptfigur, für die er fast physisch spürbare Bilder findet, die aber auch nicht einer gewissen Poesie entbehren. Das erinnert einen fast etwas an Mel Gibsons THE PASSION OF THE CHRIST, hinsichtlich der gnadenlosen Zurschaustellung und Körperlichkeit dieses Martyriums.

Und bei der extremen Abmagerungskur von Hauptdarsteller Michael Fassbender muss man unweigerlich an Christian Bales Rolle in THE MACHINIST denken. Bilder, die man so schnell nicht wieder vergisst.

Auch wenn hier vieles unausgesprochen bleibt und sich der Zuschauer selbst darum kümmern muss, wie er die historische Relevanz von HUNGER in sein Bild des Nordirland-Konflikts integriert.

Denn McQueen kontroverser, nachdenklich stimmender Film bleibt letztendlich nur eine Metapher dafür, in welch erschreckender Form Menschlichkeit in unserer Zivilisation in extremen Situationen auf der Strecke bleiben kann.

Vielleicht kein absolutes Meisterwerk, aber dennoch äußerst sehenswert, wenn einem der Sinn nach verstörenden Filmerfahrungen ist. Inzwischen als Doppel-DVD erscheinen, versehen mit reichlich Hintergrundmaterial über die Entstehung des Films.