„Entführt“, Hernan Migoyas Comic über die Entführung einer jungen Studentin, ist vieles: Ein bisschen Reportage, ein bisschen Biografie, ein bisschen Lovestory, ein bisschen Thriller. Angefüllt mit Angst, Neid, Gewalt und Hass.
Doch so klar die Grenzen auf den ersten Blick scheinen, sind sie bei näherer Betrachtung dann doch nicht. Denn wer hier tatsächlich gut und wer böse ist, ist nicht immer unbedingt ganz eindeutig auszumachen: Die entführte Jurastudentin Melina selbst tritt als recht selbstverliebtes und verwöhntes Gör auf, das sich von Papi auch gerne mal ein paar Designerschühchen für schlappe $200 kaufen lässt.
Der Vater der entführten ist Rechtsanwalt und vertritt auch zahlreiche Klienten mit einem sehr fragwürdigen Hintergrund. Das verlangte Lösegeld stellt ihm einer dieser zwielichtigen Gestalten als Dank für seine erfolgreiche Verteidigung zur Verfügung.
Die Entführer sind im eigentlichen Leben ganz normale Leute, darunter auch Verwandte der Entführten, die sich aus Geldnot und /oder Habgier zu dieser Entführung hinreißen lassen, teilweise auch unfreiwillig in die Sache reingerutscht sind.
Migoyas Erzählstil ist genauso gnadenlos wie die Handlung: Er bildet die sich ständig wiederholenden, quälend langen Telefonate, die Erpresserbriefe, das zähe Taktieren der beiden Seiten, das Scheitern mehrerer Übergaben, das Ringen um bessere Bedingungen, die Angst der Familie und die Unsicherheit der Entführer bis aufs letzte Detail minutiös genau ab.
Das Herbeisehnen des Endes und die Erleichterung nach dessen Eintreten ist für den Leser förmlich greifbar. Und so atmet man tief durch, nachdem die letzte Seite gelesen und das Buch zur Seite gelegt ist.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #111 Dezember 2013/Januar 2014 und Anke Kalau