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GOTHIC

Den Sommer des Jahres 1816 verbrachten Mary Shelley, geborene Godwin, und ihr späterer Ehemann Percy Shelley, beide bedeutende britische Schriftsteller:innen der englischen Romantik, am Genfersee in der von Lord Byron bewohnten Villa Diodati. Der skandalumwobene Byron, ebenfalls ein Dichter der Romantik, der auch nicht vor Inzest zurückschreckte, hatte im selben Jahr wegen der zunehmenden Homosexuellenfeindlichkeit in England das Land verlassen müssen. Ebenfalls in der Villa anwesend waren Mary Shelleys Stiefschwester Claire Clairmont, mit der Byron eine Affäre hatte, und dessen Leibarzt John Polidori. In einer besonders stürmischen Nacht kam die Gruppe wohl auf die Idee, sich gegenseitig Schauergeschichten vorzulesen und schließlich selber welche zu verfassen. So entstanden in Folge am Genfersee zwei einflussreiche Werke der modernen Schauerliteratur. Zum einen Shelleys „Frankenstein“ und Polidoris „Der Vampyr“, der noch vor Bram Stokers „Dracula“ die erste Vampirgeschichte schuf. Wenn man allerdings einen ausgewiesenen Exzentriker wie Ken Russell als Regisseur für einen Film über diese popkulturell bedeutsame Zusammenkunft verpflichtet, wird man kaum ein historisch akkurates Biopic erwartet haben. Stattdessen zeigt „Gothic“ Russells Interpretation dieser einflussreichen Form von Schauerliteratur. Alles reduziert auf eine einzige Nacht, die aber mehr einem surrealen Laudanum-Rausch in Videoclip-Ästhetik gleicht als einem normalen Horrorfilm, natürlich gespickt mit den von Russell gewohnten sexuellen und blasphemischen Provokationen. Auf Blu-ray erschien „Gothic“ bereits 2019 in exzellenter Qualität, allerdings nur als Mediabook, jetzt gibt es auch eine preisgünstige Amaray-Edition, ebenfalls mit Kino- und späterer DVD-Synchronisation und einigen interessanten Features über den Film.