Die fünfte Platte von GASTR DEL SOL ist so fernab von allem, was momentan alternative Musikkultur repräsentiert, daß ich fast schon Bedenken hatte, sie für dieses Heft zu besprechen. Dabei stammt Gründer David Grubbs eigentlich aus einem gesunden Ami-Noiserock-Umfeld dessen erste Bands SQUIRREL BAIT und BASTRO veröffentlichten ihre Platten bei Homestead.
Doch schon bei BASTRO zeichnete sich ab, daß Leute wie Grubbs und der ebenfalls anwesende John McEntire auf dem Sprung waren, gewohntes Terrain unwiderruflich hinter sich zu lassen. McEntire gründete TORTOISE und Grubbs GASTR DEL SOL, zuerst mit Bundy K.
Brown (jetzt TORTOISE), dann mit Jim ORourke. Auf Upgrade & Afterlife" findet sich die Essenz dessen, woran Grubbs und ORourke in den letzten Jahren gearbeitet haben, und wogegen TORTOISE fast schon wieder gewöhnlich klingen.
Zu Beginn gibt es ihre ausgezeichnete Reproduktion von Ewigkeit", eine Collage aus elektronischen Quietsch- und Brumm-Geräuschen, die in einem Hollywood-Kitschfilm-Soundtrack-artigen Gebilde gipfeln.
Der ruhende Pol der Platte aber ist Hello spiral", ein sich langsam steigerndes Stück, zu Beginn von leisen Gitarrentönen und Grubbs zerbrechlichem Gesang getragen, dann aber immer stärker von einem treibenden Rhythmus (John McEntire am Schlagzeug) und fiesem Lärm dominiert.
Dazwischen Songfragmente, mit Grubbs schon aus anderen GASTR DEL SOL-Platten bekanntem seltsamen Gesang und dazu vereinzelte Pianoanschläge. Schließlich Dry bones in the valley", ein instrumentaler abstrakter Bluessong mit John Cale-artigen Höllengeiger-Einlagen.
Upgrade & Afterlife" ist eine Platte, die sich sehr viele ruhige Momente gönnt, dabei aber nie Leere produziert, sondern den Assoziationen des Hörers die Möglichkeit geben, wellengleich die nächsten Töne zu nutzen, um sich und die individuellen Empfindungen im Fluß der Musik weitertreiben zu lassen.
Das Cover zeigt zwei Gummistiefel, über denen körpergleich eine Wasserwolke schwebt, ähnlich erfährt man auch die Platte selbst, dessen musikalische Physiognomie sich unbehindert in unterschiedlichste Richtungen ausdehnt.
Dennoch lassen sich trotzdem die eigentlichen Noiserock-Wurzeln dieser Musik wiedererkennen, denn mit Klassik, Jazz oder anderem abendländischen Kulturgut haben GASTR DEL SOL wenig zu tun.
Ich möchte fast vor Freude heulen, so großartig ist diese Platte.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #30 I 1998 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #71 April/Mai 2007 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #24 III 1996 und Thomas Kerpen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #175 August/September 2024 und Thomas Kerpen