Die Graphic Novel scheint nun endgültig als vollwertige Literaturform etabliert zu sein. Auch der renommierte Suhrkamp-Verlag hat mittlerweile einige ausgewählte Titel publiziert, darunter Ulli Lusts Umsetzung von Marcel Beyers 1995 erschienenem Roman „Flughunde“ in Comic-Form.
Beyer baut inhaltlich zwar auf wahren Begebenheiten auf, erweitert diese aber um fiktive Elemente. Bis auf wenige Ausnahmen spielt „Flughunde“ während der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Erzählt wird in erster Linie aus zwei Perspektiven: Einmal aus der Sicht des Akustikers Hermann Karnaus, der, getrieben von dem fanatischen Drang, die Stimmbildung des Menschen physisch zu erforschen, zum Rädchen der nationalsozialistischen Todesmaschinerie wird.
Und zum anderen aus der Sicht der ältesten Goebbels-Tochter Helga, die ohne ihr eigenes Zutun zum Teil nationalsozialistischer Propaganda gemacht wurde. Nach sich hinsichtlich Brutalität und Eindringlichkeit optisch und akustisch steigernden Sequenzen endet „Flughunde“ schließlich nach der Vergiftung der Goebbelsgeschwister in Stille.
Dass akustische Elemente in einem Comic besser eingefangen werden können, als in einem klassischen Roman, liegt nahe. Lust ist es aber darüber hinaus auch gelungen, Widersprüchlichkeiten, Gefühle und Ängste über Farbwechsel, unschuldig anmutenden Zeichnungen und Auflösung der Panelgrenzen optisch wiederzugeben.
„Flughunde“ führt die vielfältigen Gestalten des Terrors anschaulich vor Augen. Am Ende bleibt die Frage, ob Karnau ohne den nationalsozialistischen Einfluss einfach ein spleeniger Nerd geblieben oder ohnehin zum Mörder geworden wäre.
Gleiches lässt sich auf alle beteiligten Akteure – mit Ausnahme der Kinder – übertragen, muss aber unbeantwortet bleiben.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #110 Oktober/November 2013 und Anke Kalau