Jeff Lemire scheint sich vor Ideen kaum retten zu können. Neben der „Black Hammer“-Reihe mitsamt seinen Spinoffs und dem sechs Bände umfassenden Horror-Comic „Gideon Falls“ ist nun also auch die „Family Tree“-Saga mit drei Bänden in überschaubarer Länge abgeschlossen. In dieser Endzeit-Familiengeschichte, in der sich die Tochter einer leicht zerrütteten Familie langsam in einen Baum verwandelt und von einer Gruppe Fanatiker gejagt wird, gibt es viele einzelne Ideen, die man vielleicht schon mal irgendwo oder irgendwie gesehen hat. Sei es der Mensch-Baum-Charakter („I Am Groot“?) oder das Aufbegehren der Natur gegen den Menschen mit tödlichem apokalyptischen Ausgang („The Happening“ als wohl bekanntestes Beispiel). Allerdings gelingt es Lemire hier, die Perspektive ein wenig zu verschieben und den Blick auf andere Dinge zu lenken. Wie weit geht man für seine Familie? Nimmt man dafür den Untergang der Welt in Kauf? Diese und andere Fragen stellen sich in diesen drei kurzweiligen Bänden, die dann aber doch recht unverständlich auch als Horror vermarktet werden. Während das auf die „Gideon Falls“-Serie Lemires durchaus zutrifft, so hält sich der Horror-Anteil bei „Family Tree“ doch sehr in Grenzen, der Fokus liegt hier eindeutig woanders. Das mag auch daran liegen, dass sich der Body-Horror-Anteil des sich verwandelnden Mädchens durch den kantigen, teils detailarmen Zeichenstil nicht komplett entfalten kann. So bleibt die Familie im Mittelpunkt des Geschehens und die Frage, was man bereit ist, für seine Liebsten zu opfern. Insgesamt wieder eine gelungene Geschichte aus dem Hause Lemire.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #162 Juni/Juli 2022 und Dennis Müller