Wann wirkt etwas oberlehrerhaft krittelnd, wann regt es zum Nachdenken an? Es ist jedenfalls definitiv ein sehr schmaler Grat, auf dem Emma, eine französische Informatikerin, Feministin und Bloggerin, mit „Ein anderer Blick“ wandert. Emma zeichnet aus der Ich-Perspektive, will heißen: sie ist immer wieder visuell als Person außerhalb der eigentlich geschilderten Beobachtung präsent, die in Sprechblasen erklärt, erläutert und Schlüsse zieht. Oder eben belehrt. Man könnte auch sagen: Sie beansprucht für sich, die Wahrheit zu kennen. Ja, zugegeben, nach dem ersten Kapitel musste ich mich ein wenig zum Weiterlesen zwingen. Die Fokussierung auf die Mutter- beziehungsweise Elternrolle ist vielleicht auch ein wenig abschreckend zu Beginn des Buches untergebracht. Auch auf die Episode zum Dammschnitt hätte ich liebend gerne verzichtet. Aber Emma beschränkt sich zum Glück nicht auf den Muttertierkosmos und gestaltet manches im weiteren Verlauf interessanter und vielschichtiger. Egal, ob man ihr Vorgehen nun mag oder nicht, letztlich sollte man sich darüber im Klaren sein, dass Emma hier tatsächlich auf vielen Ebenen unangenehme Wahrheiten anreißt – und das ist nun mal nicht immer angenehm zu lesen. Ihre eigentliche Stärke zeigt sie dabei, wenn sie ihren rein feministischen Standpunkt beispielsweise gegen einen allgemein gesellschaftskritischen eintauscht, Lohnarbeit infrage stellt, das Kopftuchverbot umkehrt oder rassistische Polizeigewalt thematisiert. Oder die Anatomie der Klitoris erklärt – die direkt schön aufmerksamkeitsheischend in Form eines abgewandelten Auges den Weg auf das Cover gefunden hat. Leseproben gibt es auf english.emmaclit.com.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #156 Juni/Juli 2021 und Anke Kalau