Die Anzahl der in den 60ern und 70ern in Italien gedrehten, meistens als Giallo bezeichneten Thriller, die dann oft sogar bei uns im Kino liefen, ist immer wieder erstaunlich. Duccio Tessari ist sicher nicht der größte Regisseur, den Italien hervorgebracht hat, aber ein solider Handwerker mit einigen überdurchschnittlichen Filmen im Repertoire, und das merkt man auch L'UOMO SENZA MEMORIA an, in deutlicher Nähe zu Argento, Fulci, Bava und natürlich auch Hitchcock angesiedelt, aber insgesamt recht grob gestrickt.
Und auch Autor Ernesto Gastaldi kann auf eine lange Filmografie verweisen, da ist zumindest gehobenes Entertainment garantiert. Tessari hält sich auch nicht lange mit umständlichen Erklärungen auf, denn der "Mann ohne Gedächtnis", der in den verschiedenen Sprachfassungen des Films auf die Namen Ted, Peter Smith oder Edward hört, hat sich kaum von der Couch des Therapeuten erhoben, da steht auch schon ein vermeintlicher Freund vor seiner Nase, der seiner durch einen Verkehrsunfall gestörten Erinnerung wieder auf die Sprünge helfen will.
Und dann gibt es noch seine Frau Sara, die er wohl übelst hat sitzen lassen und die sich inzwischen als Schwimmlehrerin in Italien ihren Lebensunterhalt verdient. Ted, Peter oder Edward war offensichtlich in seinem früheren Leben ein richtig mieses Schwein, ein Mörder und Verbrecher, was im Verlauf des Films häppchenweise ans Tageslicht kommt - aber der Mensch kann sich ja bekanntlich ändern.
Langweilig ist DER MANN OHNE GEDÄCHTNIS im Gegensatz zu anderen italienischen Thrillern glücklicherweise nie, besonders subtil oder tiefschürfend allerdings auch nicht, ganz zu schweigen von seiner grundsätzlichen Glaubwürdigkeit.
Der Franzose Luc Meranda als "Mann ohne Gedächtnis" ist kein Unbekannter im europäischen Genrekino der damaligen Zeit. Mich hat er nie so recht überzeugen können und wirkt auch hier etwas steif und eindimensional - dann doch lieber ein Franco Nero oder Tomas Milian.
Und Frau Berger, damals so was wie ein Weltstar, als nette Schwimmlehrerin agiert streckenweise an der Grenze zur Peinlichkeit, hat allerdings einen beeindruckenden Auftritt mit einer Kettensäge und spielt Meranda immer noch locker an die Wand.
Tessari gleicht die schwer zu übersehende Holperigkeit der Geschichte aber mit der nötigen Dosis Action und Brutalität gekonnt wieder aus und liefert hier einen recht ungewöhnlichen Giallo-Vertreter ab, der eher realistisch als aufdringlich stylish ist und auf psychosexuelle Untertöne und einen Killer mit schwarzen Handschuhen schon mal verzichtet.
Wer europäische Genre-Ware dieser Art mag, ist mit DER MANN OHNE GEDÄCHTNIS auf jeden Fall bestens beraten, den Koch das erste Mal komplett ungeschnitten in guter Bild- und Tonqualität im hübschen Digipak veröffentlicht hat.
Hinzu kommt ein extra produziertes Interview mit einem äußerst sympathischen Luc Meranda, der inzwischen Antiquitätenhändler ist. Eine Sache will mir allerdings nach wie vor nicht einleuchten, wie kann sich eine Schwimmlehrerin eigentlich so eine Luxusbehausung leisten?
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #80 Oktober/November 2008 und Thomas Kerpen