Nach „Dracula“ und „Frankenstein“ ist dies die letzte Auftragsarbeit des französischen Zeichners Georges Bess für Magnetic Press. „Notre-Dame de Paris. 1482“ lautet der französische Titel des Hugo-Romans, die spätmittelalterliche Kathedrale steht also eigentlich im Fokus und wird mit wortreichen Schilderungen bedacht, der Glöckner selbst ist dabei nur eine von vielen Figuren. Das zu einer Graphic Novel zu verarbeiten, ist schon alleine in dieser Hinsicht eine spannende Angelegenheit. Die Architektur des spätmittelalterlichen Paris, deren allmähliches Verschwinden Victor Hugo oft beklagte, einzufangen, ist tatsächlich eine der großen Stärken dieser Adaption. Und auch sonst orientiert sich das Szenario stark an Hugos Vorlage, das heißt auch: Kinderklauende Zigeuner, eine selbstbewusste, tanzende, abergläubische Zigeunerschönheit, die eine Ziege Kunststücke vorführen lässt (und, wie sich später herausstellt, eine von den Zigeunern gestohlene Französin ist), ein diebischer, gewaltbereiter Landstreichermob und diverse andere klischee- bis boshafte Charaktere und Handlungsstränge. An heutigen Maßstäben gemessen wäre das so hoffentlich nie veröffentlicht worden. Aber das gilt vermutlich für sehr viele Literaturklassiker. Und genau darin liegt das zentrale Problem. An Bess’ moralisch sicherlich in vielerlei Hinsicht ähnlich diskussionswürdigen Jodorowsky-Kollaborationen („Das weiße Lama“, „Juan Solo“) reicht „Der Glöckner von Notre-Dame“ nicht heran, dazu fehlt es einfach an inhaltlicher Frische. Geblieben ist der Wahnsinn, der sowohl in puncto Schönheit als auch Hässlichkeit in grotesk überzeichneten schwarzweißen Panels opulent gefeiert wird.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #176 Oktober/November 2024 und Anke Kalau