Nachdem Ende letzten Jahres Christian Klar nach 26 Jahren Haft auf Bewährung entlassen wurde, ist mit Birgit Hogefeld nur noch ein ehemaliges RAF-Mitglied in einem deutschen Gefängnis inhaftiert, womit sich langsam aber sicher die Aufarbeitung dieses traumatischen Themas jüngerer deutscher Vergangenheit erledigt haben sollte.
Dennoch unternahm unser deutscher Superproduzent Bernd Eichinger letztes Jahr noch mal den Versuch, die komplette RAF-Geschichte in einen knapp zweieinhalbstündigen Film zu pressen. Eine Mischung aus historischem Nachhilfeunterricht und spekulativem Unterhaltungskino für ein Massenpublikum, natürlich basierend auf dem Buch von Stefan Aust, dessen journalistisches Ethos in den letzten Jahren beim Spiegel doch sehr gelitten hatte.
Der Erfolg gibt Eichinger Recht, über 2 Millionen Menschen schauten sich seinen Film an, dass es mit einem Oscar nicht klappen würde, war aber irgendwie vorherzusehen. Denn auch wenn Terrorismus ein internationales Phänomen ist – auch die RAF hatte ja Verbindungen ins Ausland –, blieb diese Form antiimperialistischer Stadtguerilla ein eigentümlich deutsches Thema.
Sicherlich auch bedingt durch das verquere politische Selbstverständnis der Gruppe, die sich als Freiheitskämpfer sahen, die dem faschistischen Schweinestaat und seinen Gehilfen den Kampf angesagt hatten, was selbst die extreme Linke höchst kritisch sah.
Und so sprach sogar Rudi Dutschke damals von der „RAF-Scheiße, die den politischen Klassenkampf hemmen würde“. Der wurde dann bekanntlich 1968 Opfer eines Attentats durch den jungen Hilfsarbeiter Josef Bachmann, das er gerade noch überlebte.
Bachmann landete deswegen im Gefängnis, wo er dann später Selbstmord beging. Insofern wäre es mal interessant zu erfahren, was sich Regisseur Edel und Eichinger bei dieser beknackten Wildwest-Szene gedacht haben, bei der Tom Schilling in der Rolle des Bachmann nach einem blutigen Feuergefecht mit der Polizei stirbt – Peckinpah lässt grüßen.
Sowieso das große Problem der ersten Hälfte von DER BAADER-MEINHOF-KOMPLEX, die die RAF-Geschichte im Telegrammstil abarbeitet und in der Sex, Gewalt und gute Laune dominieren, was man kaum als wirklich analytisch bezeichnen kann, aber gut inszeniert und unterhaltsam ist es dennoch.
Dabei beginnt Edels Film sogar mit einer höchst beeindruckenden und nachhaltig verstörenden Szene, als Polizisten bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien im Juni 1967 brutal auf die Anwesenden einprügeln und sich als willenlose Erfüllungsgehilfen des Staates offenbaren – die Polizei, dein Freund und Helfer.
Und als tragischer Höhepunkt wird dabei der Student Benno Ohnesorg erschossen, quasi der Katalysator für die Radikalisierung eines Teils der damaligen Studentenbewegung. Danach hakt der Film routiniert die zentralen Ereignisse der RAF-Geschichte ab, bis zur Verhaftung von Baader, Ensslin, Meinhof, Raspe und Meins und ihrer Inhaftierung im Hochsicherheitstrakt der JVA Stuttgart, wo ihnen der Prozess gemacht wurde.
Das gipfelte dann im nie vollständig aufgeklärten Selbstmord von Baader, Ensslin und Raspe. Meinhof hatte schon vorher Selbstmord begangen und Meins war an den Folgen des Hungerstreiks gestorben.
Kurz zuvor hatte die zweite Generation der RAF noch erfolglos versucht, durch die Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, eine der faschistischen Altlasten der BRD, die Gefangenen freizupressen.
Aufgrund des Unsinns mit Bachmann zu Beginn ist man eigentlich ständig versucht, noch mal parallel nachzuprüfen, was sich Eichinger und Edel sonst noch in Sachen Geschichtsklitterung erlaubt haben, aber dann könnte man ja direkt ein Buch lesen, wobei auch Austs Interpretation der Ereignisse nicht unumstritten ist.
Erstaunlicherweise wird DER BAADER-MEINHOF-KOMPLEX mit der Inhaftierung der RAF-Köpfe in Stammheim noch ein richtig ernstzunehmender Film, bei dem sich die politische Elite der BRD durch einen absurden Schauprozess ins Unrecht setzte und den Rechtsstaat ad absurdum führte.
Offenbar arbeitete man damals tatsächlich auf die systematische Vernichtung der Gegner hin und begünstigte dadurch auch noch die Entstehung einer zweiten RAF-Generation, womit sich auch ein gewisser Helmut Schmidt nicht gerade mit Ruhm bekleckerte.
Über die Legitimität des Handelns der RAF lässt sich sicher streiten, moralisch im Unrecht war sie auf jeden Fall, aber das Vertrauen in den Rechtsstaat hat dieser Prozess doch nachhaltig beschädigt.
Das kann man eigentlich noch besser in Reinhard Hauffs hervorragendem STAMMHEIM (vor kurzem bei Kinowelt auf DVD erschienen) von 1986 sehen, nach einem Drehbuch von Aust, in dem anhand von Gerichtsprotokollen der Prozess aufgearbeitet wurde.
Quasi ein klassischer Gerichtsfilm, inszeniert wie ein Theaterstück, aber dennoch ungemein packend, denn hier wird die ganze Absurdität des Gerangels zwischen Richtern, Angeklagten, Staatsanwälten und Verteidigern ans Licht gebracht – trotz der Tragik des Ganzen, eine teilweise fast schon urkomische Angelegenheit.
Insofern hat man bei DER BAADER-MEINHOF-KOMPLEX das Gefühl, es mit zwei verschiedenen Filmen zu tun zu haben, die beide schon existieren. Einmal wie gesagt Hauffs STAMMHEIM und dann Christopher Roths BAADER, der den Kopf der RAF-Truppe als coolen Rock’n’Roll-Rebellen porträtierte, was Bleibtreu in ähnlicher Form in Eichingers Film versucht, aber er ist nicht der Einzige, dem man dabei Overacting vorwerfen könnte.
Einen hohen Unterhaltungswert kann man DER BAADER-MEINHOF-KOMPLEX insgesamt nicht absprechen, aber er leidet doch deutlich unter dem Zwiespalt, ein großes Publikum erreichen zu wollen und gleichzeitig die historischen Befindlichkeiten akkurat wiederzugeben, womit Edel und Eichinger die Chance verspielt haben, die Geschichte der RAF vernünftig aufzuarbeiten.
Aber zumindest sind sie dabei auf relativ hohem Niveau gescheitert.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #83 April/Mai 2009 und Thomas Kerpen