Bei seinem Kinostart (in ungeschnittener Form) in Deutschland Anfang 1971 wurde Ralph Nelsons Spätwestern „Das Wiegenlied vom Totschlag“ („Soldier Blue“) als „Der härteste Film aller Zeiten“ beworben, wozu auch der reißerische deutsche Titel passte, in Anlehnung an Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“. Die Drastik des Films dürfte 1982 bei seiner unzensierten Ausstrahlung im Spätprogramm des ZDF einen Großteil des damaligen Publikums ziemlich unvorbereitet getroffen haben, die einen normalen US-Western erwartet hatten. Während Arthur Penns im selben Jahr entstandener „Little Big Man“ viele Mythen des wilden Westens auf eher ironische Weise zerstörte, die Indianerkriege aber ebenfalls als blutige Gemetzel zeigte, bewegte sich „Das Wiegenlied vom Totschlag“ fast an der Grenze zur Exploitation bei seiner Verarbeitung des sogenannten Sand-Creek-Massakers, das 1864 amerikanische Kavalleristen an den Einwohnern einer Indianer-Siedlung verübten. Gleichzeitig verarbeitet Nelsons Film auch die Gräueltaten des Vietnamkriegs, der sich damals auf seinem Höhepunkt befand, denn 1968 hatte die US-Armee im südvietnamesischen Dorf My Lai über 500 Zivilisten massakriert. Der sehr schöne Soundtrack stammt vom Briten Roy Budd und der Titelsong wird interessanterweise von Buffy Sainte-Marie gesungen, die in Kanada im Reservat der Cree-Indianer geboren wurde, was das ehrenwerte Anliegen des Films unterstreicht, der jetzt in einer gelungenen 4K-Restaurierung auf Blu-ray erschien. Zwar irritiert etwas die teils Romcom-artige Beziehung zwischen Candice Bergen und Peter Strauss als Überlebende eines Indianerangriffs, dennoch geht einem das abschließende äußerst explizite und schonungslose Massaker amerikanischer Soldaten an den Frauen und Kindern einer Indianer-Siedlung auch über 50 Jahre später noch schwer an die Nieren.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #175 August/September 2024 und Thomas Kerpen