Seit seinem Kinorelease im Jahr 1993 ist „Das Piano“, der dritte abendfüllende Film der Neuseeländerin Jane Campion, hierzulande immer gut verfügbar gewesen und wurde bereits 2013 auf Blu-ray veröffentlicht. Inzwischen wurde „Das Piano“ in 4K restauriert und versehen mit zusätzlichem Bonusmaterial erneut auf Blu-ray aufgelegt. Bei der Oscarverleihung 1994 wurde der Film in drei Kategorien ausgezeichnet, was sein Vermarktungspotential sicher erhöhte. 2019 wurde „Das Piano“ die besondere Ehre zuteil, in einer BBC-Umfrage unter Filmexperten auf Platz 1 der 100 besten Filme zu landen, bei denen Frauen Regie führten. Das klingt fast schon wie ein vergiftetes Kompliment: Wow, gar nicht so übel, dafür, dass eine Frau Regie geführt hat ... Tatsächlich besitzt „Das Piano“ eine deutliche feministische Qualität – möglicherweise bei seiner Erstaufführung noch eher ein Novum –, was Campions mit wundervoller Musik von Michael Nyman versehene Parabel über die Selbstbefreiung und -findung einer Frau immer noch unbedingt sehenswert macht. Campions poetisches und kunstvoll inszeniertes Erotikdrama spielt Mitte des 19. Jahrhunderts in Neuseeland, wohin die stumme Witwe Ada McGrath (Holly Hunter) von ihrem Vater zusammen mit der neunjährigen Tochter Flora (Anna Paquin in ihrer ersten Rolle) verfrachtet wird, um dort einen Mann (Sam Neill) zu ehelichen, den sie noch nie zuvor getroffen hat, was natürlich nicht funktionieren kann. Stattdessen verfällt die renitente Witwe dem grobschlächtigen wie feinfühligen George Baines (Harvey Keitel als eine Art männliche Naturgewalt), der sich den einheimischen Maori angepasst hat und deren Gesichtstätowierungen trägt. Für die dramatische, teils brutale, aber auch humorvolle Geschichte spielt das titelgebende Klavier der Witwe natürlich eine maßgebliche Rolle.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #164 Oktober/November 2022 und Thomas Kerpen