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TENEMENT KID

Bobby Gillespie

„Wer sich an die Neunziger erinnern kann, war nicht dabei“, hört man gelegentlich. Glücklicherweise endet der erste Band von Bobby Gillespies Memoiren mit dem Release des PRIMAL SCREAM-Albums „Loaded“ Anfang September 1991, sonst gäbe es hier sicher etliche weiße Seiten. Gillespie, Jahrgang 1963, entstammt einem Glasgower Working-Class-Haushalt, wurde zum Sound von Glam sowie der 77er Punk-Ära sozialisiert. Zudem hat er vom Vater, einem Gewerkschaftler, ein ordentliches Klassenkämpfer-Fundament mitbekommen. In „Tenement Kid“ blickt Bobby auf seine ersten musikalischen Gehversuche als Bassist von WAKE, einer Factory-Band, zurück, betrachtet seine Zeit als Drummer bei THE JESUS AND MARY CHAIN, die er verlassen musste, als die Reid-Brüder wegen Bobbys zweiter Band PRIMAL SCREAM eifersüchtelten. Deren Karriere von der ersten Single „All fall down“ bis hinein in die Ecstasy-getränkte Rave-Ära macht den Großteil des Buchs aus. Gillespie präsentiert sich hier als modebesessener Dandy, er kann sich anscheinend an nahezu jedes einzelne Bühnen-Outfit erinnern. Selbstverliebt kommt er dabei schon manchmal rüber, besonders wenn er Namedropping-Orgien betreibt, und vor allem dann, wenn er berichtet, welche Stars sich als PRIMAL SCREAM-Fans bekennen. Und da wäre noch das Thema „Drogen“. Hier gibt sich der Sänger als offenherziger Hedonist zu erkennen, der sich mit polytoxikomanem Experimentiereifer alles reinpfeift, was gerade verfügbar ist. Lediglich über den Heroinkonsum innerhalb seiner Band schweigt er sich verschämt aus. Dabei gelingt ihm mit der Autobiografie ein intimer Einblick in die britische Indie-Kultur der späten Achtziger im Allgemeinen und der Creation-Szene im Speziellen.