Als ich vor vielen Jahren, das war noch lange vor dem Internet, beim Ergründen der Wurzeln von Punk auf THE SLITS stieß, war ich ehrlich enttäuscht. Ich hatte Punk erwartet, Punk von Frauen, Punk wie von X-RAY SPEX oder Siouxsie Sioux. Stattdessen ... war das irgendwie anders. Die Attitüde, das Auftreten, die Inhalte – ja, das war Punk. Nur die Musik ... nach meiner (was der Kern des Problems sein kann) Auffassung war das halt nicht die Art von (Post-)Punk, wie ich sie hören wollte. Bis heute fremdle ich mit THE SLITS, holen mich die emotional, also musikalisch, nicht ab, wohingegen ich das rational wertschätze. Und in gewisser Weise ist das auch (teilweise) mein „dealbreaker“ bei BIG JOANIE. Die Band wurde 2013 in London von Stephanie Phillips (gt, voc) explizit als schwarze, feministische Punkband gegründet, mit Estella Adeyeri (bs, voc) und Chardine Taylor-Stone (dr, voc) fand sie Mitstreiterinnen, nach Kleinformaten kam 2018 das Debütalbum „Sistahs“, und BIG JOANIE etablierten sich in UK und auch den USA mit ihrer klaren feministischen und sich für die Interessen von People of Color einsetzenden Agenda. Mit „Back Home“ erschien Ende 2022 das zweite Album des Trios, wieder als Co-Release von Kill Rock Stars und The Daydream Library Series, letzteres ein Sublabel von Thurston Moores Ecstatic Peace-Label. Die Texte wirken auf mich eher persönlich und unkonkret, sind keine für Demos taugenden Parolen im klassischen Punkrock-Sinne, und letzteres trifft eben auch auf die Musik zu. BIG JOANIE spielen sehr differenzierten, leisen Indiepop, dem es für meinen Geschmack an jeder Aggressivität dieser Art fehlt, wie sie einst für BIKINI KILL typisch war und wie sie aktuell THE LINDA LINDAS auf die Bühne bringen. Punk ist, was du fühlst, wie du fühlst, was du daraus machst, aber nicht notwendigerweise eine stilistische Beschreibung. Wenn man sich von diesem sozialisierungsbedingten Ballast befreit „Back Home“ annähert, kann das Album – siehe das famose, vibrierende, elektronische „Sainted“ – interessante Einblicke gewähren.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #167 April/Mai 2023 und Joachim Hiller